Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
Dreck, 
    Bereit, sich zu zerfleischen, 
    Um von dem Jammerleben noch
    Ein Stückchen abzukriegen.
    Du jagst im Kreis, so elend und
    So bös wie deinesgleichen, 
    Und wirst, ob Sklave, ob Prophet, 
    Bald unterm Messer liegen. 

    Ich weiß nicht, warum, doch ich blieb wie angewurzelt vor der fremden Tür stehen. Das waren mehr als schlichte Worte. Ich sog sie mit meiner Haut auf, mit meinem ganzen Körper. Ich hatte vergessen, wer ich früher einmal war, aber wie sollte ich mich daran erinnern, wer ich jetzt war? Und jagte ich nicht mit meinesgleichen, die ich noch gar nicht kannte, in einem neuen Kreis herum?
      
O könntest du doch nur die Stille hören, 
    Nicht Lüge, Schmeichelei, nicht Tag und Nacht.
    Wie Schnee im Frühling tauen, 
    Und lieben voll Vertrauen - 
    Die böse Sehnsucht hätt' dich umgebracht. 
     
    Nun, Stille würde ich in der nächsten Zeit bestimmt nicht hören.
    Zu viele interessierten sich schon für meine bescheidene Person. Sowohl Lichte als auch Dunkle ...
    Die Stimme des Sängers hatte unterdessen an Volumen gewonnen, klang jetzt triumphierend und frech:
     
He, Himmelsbewohner!
    Wer war noch nicht ganz unten?
    Wer nicht durch die Hölle ging, 
    Erbaut kein Paradies!
    He, ihr da im Dreck!
    Der Donner lacht über euch.
    Na los doch, zieht mit ihm gleich - 
    Da gibt's nur eins: Hinauf!
    Da gibt's nur eins: Hinauf... 
     
    Darum ging es also ... Nach oben. Und das Paradies ist demnach nicht zu erreichen, wenn man sich vorher nicht ausgiebig in der Hölle herumgetrieben hat. Nur hat jeder sein eigenes Paradies und seine eigene Hölle. Aber andererseits singt Kipelow ja genau davon.
    Wie seltsam. Dieses Lied hatte ich schon früher gehört, der Name des Sängers hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt, und den Song hatte ich mir sogar auf MD brennen lassen. Doch jetzt klang das Lied völlig neu für mich, schnitt mir überraschend wie eine Scherbe unsichtbaren Glases ins Bewusstsein.
    »Kollege! Beeilen Sie sich ein bisschen!«, rief Edgar mich.
    Bedauernd trat ich von der Tür zurück.
    Das muss ich nachher noch mal hören... Ich kaufe das ganze Album und höre es mir noch mal an.
    Die Stimme des Sängers verebbte in meinem Rücken.
     
Doch wenn das Licht aufflammt im Hirn, 
    Fegt es die Demut hinweg, Werden
    vergangene Tage lebendig, Neue Sünden
    begangen. Blut an den Felsen, Blut an der
    Hand -Über die Körper, die elenden
    Rücken Derer, die lieber als Sklaven
    verrecken Drängst du von neuem hinauf. 
     
    Aus irgendeinem Grund hatte ich den Eindruck, Kipelow wisse genau, wovon er sang. Verstand etwas von Blut. Vom Dreck. Vom Himmel. Er könnte ohne weiteres ein Anderer sein, dieses langhaarige Idol der russischen Heavy-Metal-Fans. Zumindest hätte mich das nicht allzu sehr verwundert.
    Edgar, Schagron und ich gingen noch ein Stockwerk nach oben und kamen zum eigentlichen Büro. Mit einem großen, durch Wandschirme in kleinere Zellen untergliederten Raum, mit einzelnen Arbeitszimmern etwas abseits und mit einer Halle, die von der Twerskaja durch eine riesige, leicht getönte Scheibe getrennt war. Ich registrierte, dass die Dunklen praktisch keine Tischcomputer benutzten - zumindest saßen die drei Mitarbeiter, die entweder absolute Nachteulen oder extreme Frühaufsteher waren, ausnahmslos über Laptops gebeugt da.
    »Hellemar!«, rief Edgar, und einer der drei - wie der Posten unten am Eingang ein Werwolf - riss sich wiederwillig von einem hochkomplizierten Spiel los.
    »Ja, Chef?«
    »Ich brauch einen operativen Bericht mit den neuesten Nachrichten! Die Verlagerungen von Reagenzien und Artefakten von großer Kraft. Verluste, Abgänge, Schmuggel. Die alier-neuesten Ereignisse!«
    »Weshalb?« Der, der Hellemar hieß, wurde etwas munterer. »Was ist denn im Busch?«
    »Die Lichten verbreiten die Information, jemand versuche ein Artefakt nach Moskau zu bringen. Leg los, Hellemar!«
    Hellemar drehte sich den übrigen Spielern zu. »He, ihr Schafsköpfe. An die Arbeit!«
    Die Schafsköpfe schlossen sofort alle Spiele. Eine Sekunde später hörte ich bereits das leise Klackern der Tastatur, während die endlosen Gänge voller Monster auf den Bildschirmen dem bunten Fenster von Netscape gewichen waren.
    Edgar brachte mich in ein Büro, das vom Saal durch eine Scheibe und eine Jalousie abgetrennt war. Schagron rannte kurz irgendwohin, kam aber gleich darauf mit einem Glas Tchibo und einem Tetrapack finnischen Eiswassers wieder. Das Wasser goss er in den Kessel und schnippte

Weitere Kostenlose Bücher