2 - Wächter des Tages
Wirtschaftsabteilung. Ohne Frage, um die Leiche von Andrej Tjunnikow fortzuschaffen, der sich in einer unglückseligen Stunde in einem Geflecht der Kraft verfangen hatte, dem er noch nicht gewachsen war.
»Und dieser Dunkle?«, fragte Anton schließlich. »Glaubst du, er hat etwas mit den Entführern zu tun?«
»Nicht unbedingt.« Ilja beobachtet mit finsterem Blick, wie man Tjunnikow in einen schwarzen Plastiksack steckte, der mit einem Reißverschluss geschlossen wurde. »Möglicherweise soll er uns nur ablenken. Oder er weiß selbst nicht, was er tut. Das scheint mir übrigens am wahrscheinlichsten. Die Kralle gibt ihm Befehle. Oder derjenige, der jetzt über die Kralle gebietet. Und der Dunkle ist seit dem Zusammenstoß am Samstag im Tordurchgang bei den >Errungenschaften< eindeutig stärker geworden.«
»Also sollten wir ihn observieren?«, schlug Tolik vor. »Wenn er mit der Kralle verbunden ist, bringt er uns doch unweigerlich zu den Entführern?«
»Wenn er mit ihr verbunden ist, ja.«
»Und wenn nicht?«
Ilja seufzte nur. »Dann müssen wir mit weiteren Überraschungen und Unannehmlichkeiten rechnen. Aber dieser Dunkle wird erneut in unser Blickfeld geraten. Bestimmt.«
»Moment mal!« Garik spannte sich an. »Und wenn er durch die Kralle auserwählt ist?«
»Gerade das macht mir ja Angst...«
Anton schüttelte den Kopf. Nach den Ereignissen vor anderthalb Jahren hatte er manchmal geglaubt, er könne als erfahrener und abgebrühter Wächter durchgehen. Jetzt fühlte er sich erneut als Anfänger zwischen Virtuosen. Was einzugestehen höchst unangenehm war.
Das Telefon klingelte, der hoteleigene Apparat. Das Läuten eines normalen Telefons und nicht das Trillern der Handys zu hören war seltsam ungewohnt.
»Hallo?« Tolik hatte nach dem Hörer gelangt, hörte jetzt zu und wandte sich dann an Ilja. »Für dich. Semjon.«
Ilja nahm den Hörer, presste ihn ans Ohr und bedachte sofort alle mit festem Blick. »Auf die Pferde, Jungs. Der Chef ist bereits im Büro.«
Anton, der eine vage Müdigkeit verspürte, dachte daran, dass er jetzt Swetlana wiedersehen würde. Und abermals merken würde, wie die Kluft zwischen ihnen mit jeder Sekunde tiefer wurde. Lange hielt ich in dem wuseligen Büro der Tagwache nicht mehr durch. Ich schlief im Gehen ein, weshalb man mich einfach wegschickte, damit ich mich ausschlafen konnte. Ich widersprach nicht, denn ich war jetzt seit mehr als vierundzwanzig Stunden auf den Beinen, und die Augen fielen mir einfach zu.
Unter den schwach zu vernehmenden Tönen des Lieds von Kipelow schlummerte ich ein: He, Himmelsbewohner! Wer war noch nicht ganz unten?
Drei
Ich wachte auf. als ich begriff, dass mich jemand rief. Mich genauso rief wie ein Vampir sein Opfer. Noch nicht ganz zu mir gekommen, stand ich auf und tastete auf dem Stuhl nach meinen Sachen.
Der Ruf war süß und betörend, er hüllte mich ein, liebkoste mich, schob mich, es war unmöglich, absolut unmöglich, sich ihm zu widersetzen. Bald klang er wie Musik, bald wie ein Lied, bald wie ein Flüstern - und in jeder Form war er vollendet, ein Abbild meiner eigenen Seele.
Und, gleich einem Schlag in die Kniekehlen, ein Stoß, der mich auf die nächste Stufe katapultierte.
Der Ruf verlor sofort seine Macht über mich, obwohl er weiter erklang. Ich ließ die Hosen fallen und schüttelte sanft den Kopf.
Denn es tat weh...
Langsam floss der hypnotisierende Sirup aus mir heraus. Floss heraus und versickerte irgendwo im Boden. Verbrauchte lichte Energie, verblasste Kraft.
Mit einem Mal ging mir mit aller Klarheit auf, warum Opfer von Vampiren diesen ihren Hals mit einem Lächeln auf den Lippen hinhalten. Wenn der Ruf erklingt, sind sie glücklich. Ihr ganzes Leben lang haben sie sich auf diesen süßen Augenblick zubewegt, und ihr Leben ist im Vergleich zu ihm leer und grau - wie die Welt im Zwielicht.
Der Ruf ist eine Art Geschenk. Eine Befreiung. Nur dass es mir noch nicht vergönnt war, frei zu werden.
Mir war nicht einmal klar, weshalb, doch meine neue Fähigkeit bestand diesmal in der Immunität gegenüber dem magischen Ruf. Ich hörte ihn, wusste, was er wollte, verlor jedoch nicht einen Moment die Kontrolle über mich. Und selbstverständlich koppelte ich mein Bewusstsein von dem Rufer ab, damit dieser nicht ahnte, dass sich sein Opfer aus einem Schlafwandler in den Jäger verwandelt hatte.
In den Jäger?, fragte ich mich. Hm...
Das hieß, ich musste auf die Jagd gehen. Interessant.
Der Ruf erklang
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