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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Bahnhof. Als Individuum in dieser abendlichen Masse lief ich förmlich wie gebrandmarkt einher. Und in der Tat war ich gebrandmarkt: durch den Ruf. Niemand sah mich, niemand bemerkte mich. Niemand wollte etwas von mir, weder die leichten Mädchen, die sich in Autos aufwärmten, noch die Zuhälter oder die finsteren Typen in ausländischen Wagen, die am Straßenrand parkten. Niemand.
    Nach rechts. Zum Strastnoi Boulevard.
    Der Ruf wurde stärker, ich spürte das. Also stand die Begegnung unmittelbar bevor.
    Durch dicken Schneeregen hindurch raste die Herde von Automobilen. Kleine Schneeflocken führten im Licht der Scheinwerfer einen anmutigen Reigen auf.
    Kälte und Zwielicht. Winter in Moskau.
    Auf den Gehwegen des Boulevards lag der Schnee in einer gleichmäßigen Schicht ebenso wie auf den kleinen Buden, die zu dieser Zeit des Jahres leer waren, auf den Gebüschen und auf den niedrigen Gitterzäunen, die die Fahrbahn vom Bürgersteig trennten.
    Auf halbem Weg zur Karetny Rjad versuchten sie, mich zu fassen.
    Der Isolationszauber schien direkt vom Himmel herabzustürzen. Für alles, was nun auf dem Boulevard geschehen sollte, würden sich normale Menschen nicht mehr interessieren. Die Autos sausten weiter ihren Geschäften nach, die vereinzelten Fußgänger stockten kurz und machten dann teilnahmslos kehrt, selbst wenn sie zuvor noch auf mich zugekommen waren.
    Die Lichten schlüpften nach und nach aus dem Zwielicht. Insgesamt vier. Zwei Magier und zwei Gestaltwandler, die bereits ihre Kampfgestalt angenommen hatten. Ein kräftiger schneeweißer Bär und eine gelbrote Tigerin.
    Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten mich zerquetscht, denn die Magier schlugen sofort von zwei Seiten auf mich ein. Sie hatten ihre Beute jedoch unterschätzt: Der Schlag war für jenes Ich bestimmt, das sich dem Ruf noch unterworfen hatte.
    Doch dieses Ich gab es nicht mehr.
    In Gedanken breitete ich die Arme aus und hielt zwei Mauern auf, die auf mich zukamen und mich zermalmen wollten. Ich hielt sie auf, schöpfte Kraft und stieß sie von mir fort. Nicht sehr stark.
    Ich weiß nicht, warum, ich hatte noch nie einen Tsunami gesehen - doch das war das Erste, was mir in den Sinn kam, als ich das Ergebnis meines Tuns sah.
    Die Wände der Lichten Magier, die noch vor einer Sekunde so unerschütterlich und monolithisch gewirkt hatten, barsten wie ein Raumteiler aus Reispapier. Die beiden Magier wurden weggefegt, in den Schnee geschleudert und gut zehn Meter über den Boden geschleift. Und nur das Gitter am Straßenrand verhinderte, dass sie unter die Räder kamen. In der Luft wirbelte Schneestaub auf.
    Vermutlich hatten die Lichten verstanden, dass sie mich mit reiner Magie nicht kriegen würden. Deshalb stürmten jetzt ihre Gestaltwandler nach vorn. Die beiden Verwandlungsmagier in Tiergestalt.
    Rasch schöpfte ich weitere Kraft, wo immer ich sie auch herbekam. Sogleich erklangen von der Fahrbahn ein dumpfes Knallen, das Geräusch zerspringenden Glases, ein weiterer Knall und danach wildes Gehupe.
    Den Bären erledigte ich mit dem »gewölbten Schild« und schickte ihn kopfüber auf den Boulevard. Der Tigerin wich ich zunächst einfach aus.
    Sie hatte mir von Anfang an nicht gefallen.
    Ich weiß nicht, woher die Gestaltwandler die Masse zur Transformation nehmen. Die Frau wog in Menschengestalt vielleicht gerade mal fünfundvierzig, fünfzig Kilo. Jetzt brachte sie beachtliche drei Zentner aus Muskeln, Sehnen, Krallen und Zähnen auf die Waage. Die reinste Kampfmaschine des Todes.
    Die Lichten lieben dergleichen.
    »He!«, schrie ich. »Bleiben Sie stehen. Vielleicht reden wir erst mal miteinander?«
    Die Magier schafften es, sich zu erheben, und jetzt versuchten sie, mich einzuspinnen, doch ohne besondere Mühe verband ich die gierig schlingernden Fäden zu einem Knoten und warf sie ihren Besitzern zu. Beide stürzten erneut zu Boden, doch diesmal wurde niemand auf dem Rücken über den Boden gezerrt - ich hatte ihnen nur ihre eigene Energie zurückgegeben. Der Bär stand abseits und trat bedrohlich von einem Fuß auf den andern. Er machte einen Buckel, als wolle er sich gleich auf die Hinterbeine stellen.
    »Das würde ich dir nicht raten«, sagte ich ihm, während ich auf die angreifende Tigerin einschlug.
    Nicht sehr stark. Ich wollte sie ja nicht töten.
    »Worum zum Teufel geht es hier eigentlich?«, schrie ich wütend. »Oder ist das in Moskau so Usus?«
    Die Nachtwache zu rufen hätte keinen Sinn gehabt - die Angreifer

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