212 - Das Skelett (German Edition)
als auch die Fahrt zum Hotel waren von einer sonderbaren Stille geprägt. Artjom hatte kurz mit Michail und Olivia geredet, auch sie hielten sich an das Schweigeritual. Niemand blödelte herum, eine für mich - bedrohliche Ruhe schnürte meinen Hals zu. Ich hatte Angst, wie noch nie in meinem ganzen Leben. Wovor eigentlich? Ich weiß es nicht, zumindest kann ich diese Situation nicht vernünftig erklären. Es war nicht das Gehörte, nein. Ich stellte mir immer nur vor, wie Artjom oder sein stahlharter Mammut mich gleich zur Brust nehmen würde. Die eigene Fantasie und Vorstellungskraft vermögen einen Menschen völlig zu zermürben. Meine Semester in Psychologie halfen mir auch nicht wirklich, diese grässlichen Minuten zu überstehen. Von der schönen Antwerpener Innenstadt und vom prächtigen Hotel nahm ich nichts wahr. In meinem Zimmer entledigte ich mich meiner Kleidung und duschte, bestimmt eine viertel Stunde lang unter eiskaltem Wasser. Ich zitterte wie Espenlaub und war fast erfroren, eine neue Angst überkam mich, einem simplen Erkältungstod zu erliegen. Also ließ ich wohlig warmes Wasser über meinen angespannten Körper rinnen, dann ging es wieder. Das Leben kam zurück, ich lachte über meine eigene Dummheit. Artjom brauchte mich doch, er hatte mich zudem fürstlich entlohnt. Wieso nur sollten die beiden mich schlagen? Ich fand auch bei meinem ausgedehnten warmen Duschbad keine befriedigende Antwort darauf, warum ich vor körperlicher Gewalt mehr Angst hatte, als jemanden um die Ecke zu bringen. Als ich den Wohnraum betrat, erschlugen mich fast die wunderbaren Antiquitäten, mit denen das Zimmer ausgestattet war.
Olivia lag nackt auf dem mächtigen Eichenbett aus dem Mittelalte r und hörte Musik über Kopfhörer ihres MP3-Players. Ich kitzelte an ihren kleinen Füßen, fast schon wieder relaxt, sie sah mich mit großen Augen an und lächelte.
» Na du. Vorhin sahst du aus, als wenn du von einer Beerdigung gekommen bist.
Artjom erzählte nur, dass wir dich eine Weile in Ruhe lassen sollten . «
»Geh bitte duschen und komm schnell wieder!«
Olivia flog fast zum Bad und lachte. Target-Mädchen lächelten und lachten viel, sie mussten alle ähnliche Gene besitzen, besondere Gene des Frohsinns, der Schönheit und der Offenheit.
Aber ich wollte nicht gleich über sie herfallen , am liebsten doch. Eigentlich wollte ich nicht, auch nur im Ansatz - irgendetwas von Michail an ihr schmecken.
Es dauerte nicht lange, sie roch und schmeckte fantastisch nach Duschgel und ihrem schnell aufgelegten Parfum. Artjom hatte vollkommen recht, Target war mit Sicherheit eine seiner besten Ideen. Danach lagen wir wahrlich entspannt nebeneinander gekuschelt auf dem Bett und sahen fern. Ich wusste, dass das Telefon jeden Moment klingeln würde. Und so war es, Artjom bestellte mich in die Bar ein. Ich zog mich an und betrat den süffigen Teil des Hotels. Hunderte von Flaschen im riesigen Regal hinter der Bar ließen mich grinsen. Artjom lächelte mich auch an, wissend, dass ich mich wieder im Griff hatte. Ich ging direkt zu seinem Tisch, den er bewusst gewählt hatte. Schön abseits an einer bilderbehangenen Wand, urgemütlich und himmlisch ruhig.
»G eht es dir wieder besser?« , fragte er besorgt.
Ich lächelte immer noch wie ein Honigkuchenpferd und antwortete nicht, er tat es für mich. Er hatte sich immer unter Kontrolle und kannte mich schon sehr gut. Besser als ich mich selbst? Ich glaube, ja.
»Schön, ich wusste, dass du dich wieder schnell in die Spur begibst. Mann, ich glaube, du hast vollkommen falsche Vorstellungen von meiner Person. Sicher habe ich keinen Heiligenschein, aber ich bin kein morbider Perverser und nicht so kaputt in der Birne, wie du denkst. Ich habe es schon mehrfach erwähnt, Geld bedeutet mir nichts.
Aber komplizierte Deals, Geschäfte, Investments einzufädeln.
J e skurriler, komplizierter, abenteuerlicher und gefährlicher, desto besser.
Dies ist mein glückseliges, sinniges Universum. Ich könnte mich zurücklehnen, jeglichen Besitz verkaufen und würde es wohl nicht schaffen, dieses Vermögen in meiner Lebensspanne auszugeben. Auch meine Tochter und ihre möglichen Kinder nicht! Ich hatte schon fast alles, was man für Geld kaufen kann, das kannst du mir glauben. Diese Phase des Konsums und des Besitzenwollens hat ungefähr zehn Jahre angehalten. Viele Millionen habe ich sinnlos aus dem Fenster geschmissen. Es hat mich eine Zeit lang berauscht, aber nicht befriedigt oder gar
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