4 Meister-Psychos
hiergewesen
war.
Mein Blick wanderte in alle
Winkel. Aber es war nichts Auffälliges zu sehen.
»Ja, nun«, sagte er, »da wollen
wir doch gleich eine Flasche köpfen. Setzen Sie sich schon immer.«
»Ich habe das mit, was ich
Ihnen kredenzen wollte« sagte ich. »Rum und Zitronen.«
Und Strontium neunzig.
»Sehr fein«, sagte er fröhlich.
»Trinken wir erst in Ruhe einen Schoppen und machen uns dann an die schärferen
Sachen.«
Ich ließ die Tasche achtlos
stehen und ging ins Wohnzimmer. Ein zarter Hauch von Parfüm schwebte in der
Luft. Es war nicht das von Vera.
Hier war sie gewesen.
Wie oft?
Ich wußte es nicht.
Peters kam mit einer Flasche.
Aus dem Schrank holte er zwei Gläser, eines mit einem angebrochenen Rand. Er
nahm es.
»Ja«, sagte er, als er
eingeschenkt hatte, »ich würde es vielleicht für richtig halten, wenn wir den
ersten Schluck auf Vera trinken würden. Ich wünschte, sie könnte dabeisein.«
›Ich auch«, sagte ich.
Verfluchter Heuchler, dachte
ich, während der Wein durch meine Kehle rann. Er bot mir eine Zigarette an.
Eine Weile rauchten wir und sprachen nicht.
Ich fing an.
»Ich bin noch ziemlich
mitgenommen«, sagte ich. »Zuerst spürt man so etwas ja nicht so, aber dann wird
es von Tag zu Tag schlimmer. Manchmal denke ich, sie wäre noch da, sie müßte
kommen, mit mir sprechen, und dann ist es nichts. Geht es Ihnen auch so?«
»Genauso. Ich merke jetzt erst,
wie sehr sie mir fehlt.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Ich zog an meiner Zigarette.
»Hätten Sie das Kind gern
gehabt?« fragte ich unvermittelt.
Er nahm sein Glas zwischen
beide Hände.
»Aber natürlich«, sagte er,
ohne zu zögern.
»Schon die Fehlgeburt war ein
Unglück«, sagte ich.
»Ich war wie vor den Kopf
geschlagen«, bekannte Peters.
»Ich sah es. Das wäre noch
hingegangen. Kann jeder Hau passieren. Aber hinterher mußte sie sterben. Da
haben wir nun einen Haufen Internisten und Hämatologen, die sich gegenseitig
auf den Füßen herumtreten. Keiner kam dahinter. Alle standen sie herum und
redeten klug, und keiner konnte ihr helfen.«
»Es ist meistens so«, sagte er.
Wir tranken aus. Unsere Blicke
trafen sich über den Rand der Gläser.
Ich kenne dich, schienen sie zu
sagen.
Peters schenkte nach.
»Das wäre eine Frau gewesen«,
sagte ich. »Sie hätten keine bessere bekommen können.«
Er nickte bekümmert.
»Zu Weihnachten wollten wir
heiraten. Wir hatten schon einen Haufen Pläne gemacht. Wollten eine andere
Wohnung nehmen. Ich fing an, mich auf die Ordnung zu freuen. Na ja, es hat
nicht sein sollen. Zum Wohl!«
»Zum Wohl!« sagte ich.
Ich wünschte, du hättest den
Cocktail schon in dir. Der Teufel kann nicht besser lügen.
»Die Hochzeit hätte ich gern
mitgemacht.«
»Die hätten Sie auch mitgemacht.«
»Und nun? Bleiben Sie weiter
allein?«
Er hob die Schultern.
»Was soll ich machen? Bis so
etwas wie Vera wiederkommt, kann ich lange warten.«
»Es ist wirklich ein Jammer.«
Ich trank und sprach weiter.
»Wenn ich mir vorstelle, daß
ich mit ihr verheiratet gewesen wäre, und mir wäre das passiert — ich glaube,
ich hätte mich aufgehängt.«
Peters erwiderte nichts.
Wahrscheinlich war er der Ansicht, daß nicht viel verloren wäre, wenn ich mich
aufhängte. Er öffnete ein Fenster und drehte am Radio herum. Leise und gedämpft
dudelte es vor sich hin.
»Na, lassen wir’s«, sagte ich.
»Durch Jammern wird nichts gebessert. Aber sie war ein feiner Kerl. Und so
glücklich mit Ihnen.«
Ich brachte das mit naiver,
unbefangener Ehrlichkeit heraus. Noch ein paar solche Sprüche und ich glaubte
selbst daran.
Der Wein hatte mich leicht
benebelt. Die Musik wirkte gleichfalls einschläfernd. Alles war friedlich und
ruhig. Nur das Gewicht des Revolvers in meiner Brusttasche mahnte mich an die
Wirklichkeit. Wozu das alles, dachte ich. Wenn ich nachher gehe und die Büchse
wegwerfe, ist alles in Ordnung. Vera ist tot und abgetan. Ihr Tod ist meine
Strafe. Noch kann ich aufhören und umkehren. Peters bleibt, wie er ist. Niemand
kann ihn ändern. Ich bin nicht sein Richter. Ich gehe fort und vergesse ihn.
Alles vergesse ich. In fünf Jahren kommt es mir wie ein Traum vor. Wozu das
alles? Aber dann sah ich seine Augen und sein glattes Lächeln. Ich stellte mir
vor, wie sein Gesicht aussehen würde, wenn er so weit war wie Vera, als ich sie
zum letztenmal besuchte. Ich malte mir aus, wie ich mit kummervoller Miene vor
seinem Sarg stehen und Erde hinunterwerfen würde. Erst dann
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