Abby Cooper 02 - Moerderische Visionen
mitnehmen, wissen Sie.«
»Warum haben Sie es nicht getan?«
»Der Mann, der mir half, wollte nur mir und einem meiner Kinder zur Flucht verhelfen. Er wollte nicht die Verantwortung für sie alle tragen. Außerdem sollte es sowieso nur für kurze Zeit sein. Sie wollten meinen Mann für immer einsperren, und als das nicht geschah ... nun, da konnte ich nichts anderes mehr tun, als mich zu verstecken.«
»Wer hat Ihnen geholfen zu fliehen?«, fragte ich.
»Andros’ Cousin Nico. Seine Frau Sophia war meine beste Freundin«, sagte Dora, seufzte schwer und nahm einen großen Schluck von ihrem Tee. »Andros war nicht immer so, wissen Sie. Wir waren schon auf der Highschool zusammen und damals war er süß und sogar charmant. Sein größter Traum war es, Restaurantbesitzer zu werden. Mit dem Familiengeschäft wollte er eigentlich nichts zu tun haben, aber sein Vater und sein älterer Bruder wurden kurz nach unserer Hochzeit aus dem Hinterhalt erschossen, und das hat ihn verändert. Sein Vater war damals der Don und Andros war so wütend wegen des Mordes, dass er in die Fußstapfen seines Vaters trat. Er war so sehr auf Rache aus, dass er alle anderen Möglichkeiten gar nicht mehr sah. Wenn er abends nach Hause kam, erzählte er mir jedes schreckliche Detail, alles, was er seinen Männern an dem Tag befohlen hatte. Ich glaube, er wollte sein Gewissen erleichtern. Nachdem ich mir die ganze Zeit ständig diese Gräueltaten anhören musste, hatte ich zu große Angst, um ihn zu verlassen. Ich wusste einfach zu viel. Daher lebte ich fast zehn Jahre bei ihm und immer in Angst. Dann erzählte er mir von einem Streit mit Nico ...«
»Seinem Cousin?«
»Ja. Andros sagte, dass Nico ein Feigling geworden sei. Nico sei zu ihm gekommen, weil er aussteigen wolle. Aber Aussteigen ist nicht möglich, wenn man sich einmal auf die Mafia eingelassen hat. Der Tod ist der einzige Ausweg, und je nachdem, welche Entscheidungen man trifft, tritt er früher oder später ein. Kurz nachdem Nico ihm also gesagt hatte, dass er seinen Anteil verkaufen und sich zurückziehen wolle, kam Andros nach Hause und beichtete mir, dass er sich um Nico kümmern würde. Ich wusste genau: Wenn Andros keine Hemmungen hatte, seinen eigenen Cousin zu ermorden, dann hätte er bei mir erst recht keine, und deshalb setzte ich mich heimlich mit Nico in Verbindung und erzählte ihm von dem geplanten Anschlag. Er ergriff sofort besondere Vorsichtsmaßnahmen und zum Dank half er mir zu verschwinden, aber ich konnte ihn nicht überreden, mich mit allen Kindern fliehen zu lassen. Er hatte wohl zu große Angst vor Andros. Ich entschied mich für Demetrius, weil er damals am leichtesten zu beeinflussen war, und ich wollte nicht, dass er so aufwuchs wie sein Vater. An dem Tag, als ich verschwand, verließ ich zusammen mit Demetrius das Haus und gab vor, Besorgungen zu machen. Ich war so nervös und schaute mich ständig um, ob uns jemand sah, dass ich ihn nicht ständig im Auge behielt.« Dora hatte eine Papierserviette aus dem Spender auf dem Tisch gezogen und zerknüllte sie zwischen den Fingern, während sie sich die schmerzlichen Ereignisse in Erinnerung rief. »Als Nico kam, konnte ich Demetrius nicht finden. Er war irgendwo hingegangen und unsere Zeit war knapp. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn zurückzulassen, und das hätte mich fast umgebracht...« Dora verstummte und trank einen Schluck Tee. Tränen liefen ihr über die Wangen und ein paar Augenblicke kämpfte sie mit ihren Dämonen. »Nico überredete mich, allein zu fliehen. Er versprach, sofort jemanden loszuschicken, der Demetrius suchen würde, und er versicherte mir, dass wir in einer ungefährlichen Gegend seien, aber nun dürften wir nicht mehr länger warten.«
»Ich verstehe nicht, wieso Sie Ihre Flucht nicht einfach verschoben haben, Dora«, sagte ich sanft. Der Gedanke, die eigenen Kinder zurückzulassen, schien mir vollkommen unerträglich.
Dora sah mich scharf an. Trotzig erwiderte sie: »So einfach ist das nicht. Sie müssen verstehen: Ich hatte Todesangst vor dem Mann und musste jede Nacht neben ihm schlafen. Er hätte auf jeden Fall herausgefunden, wer seinen Cousin gewarnt hatte, und dann wäre mein Leben nichts mehr wert gewesen ... Außerdem versprach mir Nico, dass er sich nach unserer Flucht der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge gegen Andros anbieten würde, und dann würde ich mit meinen Kindern wieder Zusammenkommen. Er versprach mir, er wolle nichts mehr mit dem Geschäft zu tun
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