Abschied aus deinem Schatten
auch passieren mochte: Eine Beziehung kam nicht infrage.
Es war spät am Abend. Rowena hatte den Fernseher eingeschaltet und war auf der Couch eingeschlafen. Sie träumte, dass es an der Haustür klingelte. In der Erwartung, Mark draußen vorzufinden, tappte sie barfuß durch den Flur und öffnete. Doch es war nicht Mark, sondern Tony Reid, angetan mit Chino-Hosen und einem marineblauen Hemd mit offenem Kragen. Sprachlos wich sie einen Schritt zurück und ließ ihn eintreten.
„Sie können mir schließlich nicht ewig ausweichen”, sagte er mit bekümmerter Miene, während sie die Haustür schloss.
„Ich weiche Ihnen gar nicht aus”, log sie. „Ich kenne Sie nur nicht.”
„Natürlich tun Sie das! Denken Sie mal nach!”
Ihr Blick wanderte von seinen exotisch anmutenden Augen, die durch das Blau des Hemdes noch geheimnisvoller und dunkler wirkten, zu seinem Mund. Du kennst ihn sehr wohl, dachte sie. Und was noch sonderbarer ist: Er kennt dich auch. Warum also weichst du ihm aus? Eine Antwort darauf wusste sie nicht. Umso mehr war sie sich der Tatsache bewusst, dass sie unter ihrem Baumwollpyjama nackt war. Sie verschränkte die Arme über der Brust.
Er quittierte die Geste mit einem wehmütigen Lächeln. „Das ist unnötig, Rowena. Ich fresse Sie schon nicht auf.”
„Es ist spät, und ich bin müde. Was wollen Sie, Dr. Reid?”
„Was wir beide wollen”, erwiderte er ungerührt.
Himmel! Nun war guter Rat teuer. Es war zweifellos Herr der Lage, und sie wusste nicht, wie sich die Situation wieder in den Griff bekommen ließ.
Er trat näher, fuhr ihr sacht mit der Hand übers Haar, über die Wange, den Hals. Plötzlich wurde ihr der Mund trocken; die Arme hingen ihr schlaff am Körper herab, während sie wartete, was nun geschehen würde. In banger Erwartung krampften sich ihre Bauchmuskeln zusammen, sodass sie nach Luft ringen musste. Wie sehr hatte sie sich der großen Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, zu widersetzen versucht! Mit einem Mal waren alle Anstrengungen vergebens.
Stark und warm spürte sie seine Hand an ihrem Hals, genoss die Berührung, voller Sehnsucht nach mehr. Ihr Herz schlug schneller; sie musste den Kopf in den Nacken legen, um sein Gesicht zu sehen, den Kontrast zwischen dem schwarzen Haar und der milchweißen Haut, den sie tief in sich aufnahm. Eine Welle der Angst durchflutete sie, während sie darauf wartete, ja es geradezu herbeisehnte, dass seine Finger sich wieder rührten. Die Initiative musste von ihm ausgehen.
Er neigte den Kopf, küsste sie auf die Wange, ließ seine Hand verwegen unter ihr Pyjamaoberteil gleiten und umfasste ihre Brust. All ihr Widerstand schmolz dahin. Sie schlang ihm den Arm um den Nacken, hielt ihn so fest, dass sie die Lippen an seine Wangen schmiegen, seinen Duft einatmen konnte.
„Du bist so süß”, murmelte er.
Sie lächelte, ohne ein Wort herausbringen zu können. Ihre Fingerspitzen fuhren über Reids samtweiche Nackenbeuge und sandten verschlüsselte Botschaften aus, die verrieten, was Mark schon beim ersten Zusammentreffen mit ihr vermutet hatte: dass sie ihr Begehren seit langem hinter bewusst unattraktiver Kleidung versteckt hatte und sich ein Hunger darunter verbarg, der mit jedem Jahr größer und gefährlicher wurde.
Die Finger seiner freien Hand fuhren sacht unter ihre Kinnspitze, legten sich um ihren Hals, hielten sie gefangen. Sie erschrak. Die Hitze wich so schlagartig der Kälte, dass ihre Fingerspitzen wie taub wirkten. „Lass mich los”, sagte sie leise. War er es etwa gewesen, fragte sie sich, der Claudia umgebracht hat? Ist er im Stande, auch mich zu töten? Er müsste ihr nur mit der großen Hand die Kehle zusammenpressen, und sie würde ersticken. Um eine zierliche, unscheinbare Frau zu erwürgen, musste man nicht einmal besondere Kraft aufwenden. „Claudia war sicher wunderschön”, keuchte sie kaum hörbar, „aber ich, weißt du, ich habe auch eine Seele.”
„Arme Rowena! Immer verstehst du alles falsch!” Wieder glitt dieses melancholische Lächeln über seine Züge. Dann ließ er sie los.
Die jäh in ihren Körper zurückflutende Hitze ließ ihr Begehren erneut aufleben. Ohne den Blick von Reids Augen zu lösen, streifte sie den Pyjama ab und umschlang Reid mit Armen und Beinen, als er sie hochhob.
Als sie sich auf dem Sofa liebten, verschloss sie sich all den Bildern von Claudias anzüglichen Videobändern, die sie bisher noch vor Augen gehabt hatte. Rittlings über seinem Schoß schwebend, die
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