Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
für einen Sinn, Benton? Wir können Zweifel
haben, können eigene Theorien über das Motiv entwickeln, die durchaus
vernünftig sein können, aber das ist alles nur hypothetisch, und nichts
davon kann belegt werden. Tote kann man nicht verhören oder anklagen.
Vielleicht ist dieses Bedürfnis nach der Wahrheit auch anmaßend.«
»Es erfordert Mut, mit einer Lüge auf den Lippen aus dem Leben
zu gehen, aber vielleicht kommt hier nur meine religiöse Erziehung zum
Tragen. Das passiert mir in den unpassendsten Momenten.«
»Morgen habe ich den Termin mit Philip Kershaw«, sagte
Dalgliesh. »Mit der Selbstmordkassette ist die Ermittlung offiziell
abgeschlossen. Spätestens morgen Nachmittag sollten Sie heimfahren
können.«
Was er nicht hinzufügte: Vielleicht ist die
Ermittlung morgen Nachmittag auch für mich abgeschlossen. Gut
möglich, dass es seine letzte war. Er hätte sich einen anderen Ausgang
gewünscht, aber zumindest blieb die Hoffnung, dass noch so viel von der
Wahrheit zutage kam, wie jemand, der nicht Candace Westhall war,
erhoffen konnte.
7
A m Freitag um die Mittagszeit hatten sich
Benton und Kate von allen verabschiedet. George Chandler-Powell hatte
seine Beschäftigten in der Bibliothek versammelt. Beim allgemeinen
Händeschütteln wurden zum Abschied mehr oder weniger aufrichtig gute
Wünsche ausgesprochen. Ohne Groll zu empfinden, war Kate klar, dass die
Luft im Manor nach ihrem Aufbruch wie frisch gereinigt sein würde.
Vielleicht hatte Mr. Chandler-Powell diesen Gruppenabschied arrangiert,
um ein notwendiges Gebot der Höflichkeit mit so wenig Aufwand wie
möglich zu erledigen. Im Wisteria House fiel der Abschied herzlicher
aus. Die Shepherds behandelten sie wie gern gesehene Stammgäste. Bei
jeder Ermittlung gab es Orte oder Menschen, die in guter Erinnerung
blieben, und für Kate gehörten die Shepherds und das Wisteria House
dazu.
Sie wusste, dass Dalgliesh am Vormittag noch mit dem
Untersuchungsrichter über den Fall sprechen und sich vom Chief
Constable verabschieden musste. Bei ihm würde er sich für die Hilfe und
Kooperationsbereitschaft seiner Leute, insbesondere DC Warrens,
bedanken. Danach würde er zu seinem Gespräch mit Philip Kershaw
aufbrechen. Von Mr. Chandler-Powell und der kleinen Gruppe im Manor
hatte er sich bereits offiziell verabschiedet, aber er würde noch
einmal in die Alte Wache zurückkehren, um sein Gepäck abzuholen.
Kate bat Benton, dort zu halten und im Auto zu warten, damit
sie rasch überprüfen konnte, ob die Polizei von Dorset die ganze
Ausrüstung wieder abgeholt hatte. In der Küche musste sie nicht
nachsehen, die war mit Sicherheit sauber und aufgeräumt. Das Bett oben
war abgezogen, die Bettwäsche ordentlich zusammengelegt. In all den
Jahren, in denen sie und Dalgliesh nun zusammenarbeiteten, hatte sie
immer eine leichte Wehmut verspürt, wenn ein Fall abgeschlossen war und
sie den Ort, wo sie sich am Ende eines Tages zusammengesetzt und
diskutiert hatten, endgültig zurückließen, wobei die Dauer ihres
Aufenthaltes nicht von Bedeutung war.
Dalglieshs Tasche stand bereits fertig gepackt unten. Sein
Spurensicherungskoffer würde bei ihm im Auto sein. Das Einzige, was
noch fehlte, war der Computer. Spontan tippte sie ihr Passwort ein.
Eine einzige E-Mail erschien auf dem Bildschirm.
Liebe Kate,
eine Mail ist kein besonders
geeignetes Medium, um etwas Wichtiges zu übermitteln. Aber ich will
sicher sein, dass Dich meine Worte erreichen, und wenn Du sie
zurückweist, ist das weniger dauerhaft als ein Brief. Ich habe während
der letzten sechs Monate wie ein Mönch gelebt, um mir etwas zu
beweisen, und ich weiß, dass Du recht hattest. Das Leben ist zu kostbar
und zu kurz, um Zeit auf Menschen zu verschwenden, die uns nichts
bedeuten, und viel zu kostbar, um in Sachen Liebe aufzugeben. Du sollst
zwei Dinge wissen, die ich Dir bei Deinem Abschied nicht gesagt habe,
weil es sich damals wie eine Ausrede angehört hätte. Vielleicht ist es
das auch, aber Du sollst es trotzdem wissen. Das Mädchen, mit dem Du
mich gesehen hast, war das erste und das letzte, seit wir ein Paar
waren. Ich habe Dich nie angelogen, das weißt Du. Die Betten in einem
Kloster sind sehr hart und einsam, und das Essen ist ungenießbar.
Voller Liebe, Piers
Sie blieb einen Moment schweigend sitzen,
länger als sie dachte, denn plötzlich ertönte Bentons Hupe. Aber sie
musste nicht länger als eine Sekunde überlegen. Lächelnd tippte sie
ihre Antwort ein.
Deine Nachricht ist
Weitere Kostenlose Bücher