Airframe
Unfall schoben sich Aloha, Boeing und die FAA gegenseitig die Schuld zu. Die unentdeckten strukturellen Schäden in der Aloha-Flotte wurden wahlweise schlechtem Management, schlechter Wartung, schlechter FAA-Inspektion und schlechter Konstruktion zugeschrieben. Der Streit dauerte Jahre.
Doch der Aloha-Unfall hatte plötzlich das Alter von Flugzeugen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, und Amos wurde zu einer Berühmtheit bei Norton. Er überzeugte das Management, alte Flugzeuge aufzukaufen und die Rümpfe und Flügel zu Materialprüfungszwecken zu verwenden. Tag für Tag setzte er sie auf seinen Prüfständen Dauerbelastungen aus, die vielfach wiederholte Starts und Landungen, Scherwinde und Turbulenzen simulierten, so daß er untersuchen konnte, wie und wann die Teile brachen.
»Amos«, sagte Casey, als sie knapp vor ihm stand. »Ich bin’s, Casey Singleton.«
Er blinzelte sie kurzsichtig an. »Ach, Casey. Hab Sie nicht erkannt.« Er kniff die Augen zusammen. »Der Arzt hat mir eine neue Brille verschrieben … Aber, na ja. Wie geht’s?« Er bedeutete ihr, ihm zu folgen, und ging auf eine kleine Hütte wenige Meter entfernt zu. Niemand bei Norton verstand, wie Casey mit Amos auskommen konnte, aber immerhin waren sie Nachbarn; er lebte allein, und sie hatte sich angewöhnt, ihn einmal pro Monat zu bekochen. Im Gegenzug unterhielt Amos sie mit Geschichten von Flugzeugunfällen, die er bearbeitet hatte; sie reichten zurück bis zu den ersten BOAC Comet-Abstürzen in den Fünfzigern. Amos hatte ein enzyklopädisches Wissen über Flugzeuge. Casey hatte unglaublich viel von ihm gelernt, und er war ihr eine Art Berater geworden.
»Hab ich Sie nicht erst gestern früh gesehen?« fragte er.
»Ja, mit meiner Tochter.«
»Hab ich’s mir doch gedacht. Kaffee?« Er öffnete die Tür der Hütte, und sie roch das scharfe Aroma verbrannten Kaffeepulvers. Sein Kaffee war immer entsetzlich.
»Gern, Amos«, sagte sie.
Er goß ihr eine Tasse ein. »Ich hoffe, schwarz ist in Ordnung. Mir ist dieses Sahnezeugs ausgegangen.«
»Schwarz ist okay, Amos.« Er hatte seit einem Jahr keine Kaffeesahne mehr.
Amos goß sich selbst einen fleckigen Becher voll und winkte sie zu einem zerfledderten Sessel vor seinem Schreibtisch, auf dem sich dickleibige Berichte türmten: Internationales FAA/NASA Symposium über erhöhte strukturelle Zuverlässigkeit. Haltbarkeit von Flugwerken und Schadenstoleranz. Thermographische Prüfverfahren. Korrosionsschutzverfahren und Konstruktionstechnologien.
Er legte die Füße auf den Tisch und schob einige Stapel beiseite, damit er Casey sehen konnte. »Ich will Ihnen was sagen, es ist ganz schön langweilig, mit diesen alten Trümmern zu arbeiten. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem wir ein T2-Muster reinbekommen.«
»T2?« wiederholte sie.
»Das können Sie natürlich nicht wissen«, sagte Amos. »Sie sind ja erst fünf Jahre hier, und in dieser Zeit haben wir kein neues Modell gebaut. Aber wenn es eine neue Maschine gibt, heißt die erste, die die Montagehalle verläßt, T1. Testmuster 1. Dieses T1 wird einem Statiktest unterzogen - wir legen es auf den Prüfstand und rütteln es durch, bis es auseinanderbricht. Um herauszufinden, wo die Schwachstellen sind. Die zweite Maschine heißt dann T2. Damit machen wir Ermüdungstests -ein viel schwierigeres Problem. Im Lauf der Zeit verliert Metall an Zugfestigkeit, wird spröde. T2 kommt also auf den Stand, und wir beschleunigen die Ermüdungstests. Tag für Tag, Jahr für Jahr simulieren wir Starts und Landungen. Es entspricht Nortons Philosophie, daß wir die Ermüdungstests auf mehr als das Doppelte der projektierten Lebensdauer einer Maschine ausrichten. Wenn die Ingenieure ein Flugzeug für eine Lebensdauer von zwanzig Jahren konstruieren - sagen wir, fünfzigtausend Stunden und zwanzigtausend Zyklen -, simulieren wir auf dem Prüfstand mehr als das Doppelte, bevor die erste Maschine an einen Kunden ausgeliefert wird. Wir wissen genau, was die Maschinen alles aushalten können. Wie ist der Kaffee?«
Sie trank einen kleinen Schluck und schaffte es, nicht das Gesicht zu verziehen. Amos ließ den ganzen Tag lang Wasser durch dasselbe Pulver laufen. Daher hatte der Kaffee seinen unverwechselbaren Geschmack. »Gut, Amos.«
»Es gibt noch mehr davon. Sie brauchen nur was zu sagen. Wie auch immer, nicht alle unsere Konkurrenten sind so rigoros mit ihren Tests. Deshalb sagen wir immer, die anderen machen Donuts, Norton macht Croissants.«
Casey
Weitere Kostenlose Bücher