Alicia II
sie gefälscht sein, entließ er uns vor Bens Haus aus dem verriegelten Wagen. Stacy stieg als erster aus.
Als meine Füße den Bürgersteig berührten, rief jemand rechts von mir: »Deckung!« Die Reflexe der Raumausbildung sorgten dafür, daß ich mich auf die Erde warf. Stacy tat ebenso.
Beinahe sofort danach schien die Straße unter Gewehrfeuer zu explodieren. Ich spürte die Vibrationen, als mehrere Geschosse dicht neben mir den Bürgersteig trafen. Die Schießerei hörte ebenso abrupt auf, wie sie angefangen hatte. Stacy und ich sahen uns an, und dann krochen wir zum Eingang des Gebäudes.
»Was meinst du, um was ist es da eben gegangen?« fragte ich Stacy, als wir aufstanden.
»Irgendwer wollte irgendwen umbringen.«
»Glaubst du, uns?«
»Ich vermute, wenn sie hinter uns hergewesen wären, hätten sie uns auch erwischt.«
Ich blickte auf die Straße zurück. Eine Menschenmenge versammelte sich um etwas, das nach zwei Leichen aussah.
Unser Taxi war weggefahren. Ich drehte mich um und entdeckte einen sehr großen Mann, der sich die Szene über meine Schulter ansah.
»Was ist da draußen passiert?« erkundigte ich mich bei ihm.
Er legte die Stirn in Falten. Offenbar hielt er mich für verrückt, weil ich es nicht wußte, deshalb setzte ich schnell hinzu: »Wir sind einige Zeit nicht in der Stadt gewesen.«
Er nickte verstehend und erwiderte: »Für mich sieht es so aus, als seien es die Kurzlebigen gewesen.«
»Und was machen die Kurzlebigen?«
»Sie sind verantwortlich dafür. Eine ihrer aufrührerischen Gruppen, ein Killer-Team. Wir haben in diesem Sommer besonders viel Ärger mit ihnen gehabt, praktisch ohne Polizei und all das.«
»Ohne Polizei?«
»Die Polizisten streiken. Kann ich ihnen nicht verdenken. Schandbare Arbeitsbedingungen. Und wenn einer von diesen Halunken einem das Gehirn zu Brei schlägt, dann Bye-bye Erneuerung. Viele Polizisten sind ohne Gebet um ein neues Leben in die Erneuerungskammer gegangen.«
»Ich verstehe nicht, was Sie mit aufrührerischen Gruppen meinen.«
Wieder sah er mich verwirrt an.
»Selbst wenn Sie lange nicht in der Stadt gewesen sind, müßten Sie das wissen.«
»Nun erzählen Sie schon.«
Auf diese verdrießliche Aufforderung hin erklärte er geduldig und erschöpfend: »Die aufrührerischen Gruppen, die Killer-Teams, sind Gruppen von Ausgemusterten, die unsere Hilflosigkeit ausnützen und ausziehen, um uns zu töten. Sie putzen uns von der Straße weg, zu Hause, in einem Restaurant, man weiß nie, wo. Ist das klar?«
4
Bens Praxis lag im 51. Stock, und wir fuhren in einem bemerkenswert langsamen Aufzug hinauf, dessen Kabine voller Risse und Schrunden war. Dann betraten wir einen Fußboden, der auch schon bessere Tage und wahrscheinlich bessere Schuhe gesehen hatte. Die Flure, einstmals ein Beispiel für die moderne Spiegelarchitektur, lagen aufgrund zu vieler ausgebrannter und nicht ersetzter Leuchtröhren in trübem Dunkel. Die Spiegel, auf Schulterhöhe an allen Wänden entlanglaufend, waren mit dickem Staub bedeckt und warfen vage, verzerrte Bilder zurück. Einige waren mit Kritzeleien verziert.
Die Suche nach Bens Praxis erforderte einige Zeit und gutes Raten. Wir stiegen in unbeschilderte Labyrinthe hinab, wo die Zahlen an den Türen entfernt oder vertauscht worden waren, wo Leute, die uns begegneten, verträumt dreinblickten und erklärten, ihnen sei es nie gelungen, sich mit dem Nummernsystem dieses Stockwerks zurechtzufinden oder, was das anbelange, mit dem eines anderen Stockwerks in diesem Gebäude. Wir kamen an Fenstern vorbei, durch die sich das Sonnenlicht nur Zutritt erzwingen konnte, wenn es eine ebenso dicke
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