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Allan Quatermain

Allan Quatermain

Titel: Allan Quatermain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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anmerken, daß die Priester, zumindest die der jetzigen Generation, überaus klug in ihren Entscheidungen sind und die Dinge nicht zu weit treiben. Es kommt wirklich nur höchst selten vor, daß sie gegen jemand zum äußersten Mittel greifen. In der Regel neigen sie eher dazu, sich vom Gedanken der Gnade leiten zu lassen, als daß sie das Risiko eingehen, das mächtige und streitbare Volk so sehr zu reizen, daß es eines Tages das Joch ihrer fast unumschränkten Herrschaft zerbrechen könnte.
    Eine andere Quelle ihrer gewaltigen Macht liegt in ihrer Monopolstellung im Bereich der Wissenschaft begründet und in ihren beträchtlichen Kenntnissen auf dem Gebiete der Astronomie. Mit diesen Kenntnissen sind sie stets in der Lage, die öffentliche Meinung zu steuern, indem sie zum Beispiel Sonnenfinsternisse oder sogar Kometen exakt voraussagen. In Zu-Vendis können lediglich ein paar Mitglieder der Oberschicht lesen und schreiben; von den Priestern hingegen können das bis auf ein paar Ausnahmen alle. Sie gelten daher in der Öffentlichkeit als gebildete Männer.
    Die Gesetze des Landes sind im großen und ganzen mild und gerecht, unterscheiden sich jedoch in verschiedener Hinsicht von den Gesetzen unserer zivilisierten Länder. In England zum Beispiel sind die Gesetze für Verstöße gegen das persönliche Eigentum weit härter als die, die Verstöße gegen Menschen ahnden. So ist es wohl bei jedem Volk, in dem in erster Linie das Geld und der Besitz regieren. Ein Mann, der seine Frau halb totschlägt, oder der seine Kinder quält, kann damit rechnen, in unserem Land weit milder bestraft zu werden, als hätte er ein Paar alte Stiefel geklaut. In Zu-Vendis ist das nicht so; hier zählt in jeder Hinsicht der Mensch mehr als Geld und Besitz. Er ist nicht wie in England ein notwendiges Anhängsel des letzteren. Auf Mord steht die Todesstrafe, ebenso auf Landesverrat. Auch Betrug eines Waisenkindes oder einer Witwe, Gotteslästerung und Religionsfrevel, sowie der Versuch, das Land zu verlassen (was ebenfalls als Sakrileg betrachtet wird), werden mit dem Tode bestraft. Die Methode der Exekution ist in jedem Falle dieselbe, und zwar eine überaus schreckliche: der Delinquent wird bei lebendigem Leibe in einem der Flammenöfen, die sich unter den Altären im Tempel befinden, verbrannt. Für alle anderen Gesetzesverstöße, einschließlich des Müßiggangs, besteht die Strafe in Zwangsarbeit an einem der öffentlichen Gebäude, von denen immer in irgendeinem Teil des Landes eines gerade im Entstehen begriffen ist. Außerdem wird der zur Zwangsarbeit Verurteilte je nach der Schwere des Verbrechens noch zusätzlich in bestimmten Abständen ausgepeitscht.
    Das Gesellschaftssystem der Zu-Vendi räumt dem Individuum beträchtliche Freiheit ein, vorausgesetzt, es mißbraucht diese nicht zu Verstößen gegen die Gesetze und die Sitten des Landes. Die Polygamie ist gestattet; die meisten Zu-Vendi haben jedoch aus Kostengründen nur eine Frau. Der Ehemann ist gesetzlich verpflichtet, jeder seiner Frauen einen eigenen Haushalt einzurichten. Die erste Frau ist auch die rechtmäßige Ehefrau, und ihre Kinder sind die Kinder ›aus dem Haus des Vaters‹. Die Kinder der anderen Ehefrauen sind die Kinder aus dem Hause ihrer jeweiligen Mutter. Dies bedeutet jedoch nicht, daß diese Frauen oder Kinder irgendwie benachteiligt sind. Die Erstfrau hat die Möglichkeit, sobald sie in den Ehestand getreten ist, mit ihrem Mann einen Vertrag abzuschließen, in dem er sich verpflichtet, keine weitere Frau zu ehelichen. Dies kommt jedoch nur in den seltensten Fällen vor, sind es doch gerade die Frauen, die die Polygamie am schärfsten verteidigen; denn diese sorgt nicht nur dafür, daß sie in der Überzahl sind, sondern gibt der Erstfrau auch eine größere Wichtigkeit: sie ist so praktisch das Oberhaupt mehrerer Haushalte. Die Ehe ist in erster Linie ein Zivilkontrakt, in dem verschiedene Bedingungen, so zum Beispiel eine ordentliche Erziehung und Versorgung der Kinder, festgelegt werden. Sie ist auflösbar, vorausgesetzt, beide Vertragsparteien sind damit einverstanden. Der Scheidungsakt wird formal vollzogen mit einer Zeremonie, in der man die einzelnen Schritte des Hochzeitsaktes rückwärts ablaufen läßt.
    Die Zu-Vendi sind im großen und ganzen ein sehr freundliches, liebenswürdiges und fröhliches Volk. Sie sind keine großen Kaufleute und machen sich wenig aus Geld; im allgemeinen arbeiten sie gerade soviel, daß sie ein ausreichendes

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