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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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sich über den einsamen Bahnhof. Kajetan stapfte auf den Beamten zu.
    Der Stationsvorsteher war ein hagerer Mann mit melancholischem Gesichtsausdruck, der den Anblick ratloser Reisender gewohnt zu sein schien. Er beruhigte Kajetan. Nein, er habe sich nicht geirrt. Das Dorf jedoch befände sich eine viertel – bis eine halbe Stunde entfernt, je nachdem, wie der Fahrgast zu Fuß sei. Herauszufinden, fügte er seufzend hinzu, wieso die Herrschaften von der »Bayerischen Ostbahn« die Station in dieser Waldeinsamkeit und nicht in der Nähe des Dorfes errichtet hatten, habe er schon vor langer Zeit aufgegeben.
    Die Frage nach einer Fahrtmöglichkeit ins Dorf ließ den Vorsteher schmunzeln. Hier ginge man zu Fuß, ließe sich von Verwandten abholen oder könne auf den Bock eines Fuhrwerks aufspringen, das hin und wieder vorbeikäme. Hätte der Zug keine Verspätung gehabt, wäre das kein Problem gewesen. Aber diese abgelegene Waldlinie sei nun einmal problematisch, mal fielen Bäume auf die Gleise, ein anderes Mal würde schweres Rotwild queren, oder es sorge eben ein ungeschickter Fuhrknecht dafür, dass der Fahrplan durcheinanderkäme. Jetzt jedenfalls, so kurz vor Einbruch der Nacht, befänden sich die Gespanne längst wieder in ihren Remisen.
    »Aber Sie sind ja noch gut beieinand«, sagte der Beamte aufmunternd. »Viel Gepäck habens auch nicht dabei. Es wird zwar bald zu regnen anfangen, aber wenns jetzt gleich losmarschieren, kommens nicht mehr drunter. Es ist nicht weit …«
    »Ich wollt eigentlich nicht direkt ins Dorf«, sagte Kajetan. »Ich such eine Einöd namens Riedenthal.«
    Der Beamte warf ihm einen merkwürdigen Blick zu.
    »Wartet da wer auf Sie?«
    Kajetan verneinte.
    »Da rat ich Ihnen ab, Herr. Da sinds mehr als eine Stund unterwegs, der Weg geht meistteils durch den Wald. Bald wirds stockfinster sein, da verlaufens Ihnen garantiert. Und in der Nacht kanns auch schon gefrieren, das überlebens vielleicht gar nicht.« Er schüttelte bestimmt den Kopf. »Tuns mir das nicht an. Gehens runter ins Dorf, Herr. Vielleicht mag der Wirt noch anschirren. Wenn nicht, ist morgen auch noch ein Tag.«
    Kajetan sah es ein. Er ließ sich den Weg erklären, bedankte sich, schlug den Kragen hoch und marschierte los.
    Als er das Dorf Thalbach vor sich sah, war es bereits dunkel. Feiner Regen setzte ein. Der Ort lag wie ausgestorben vor ihm. Aus einigen Fenstern schimmerte warmes Licht auf die unbefestigte Dorfstraße. Über der Tür eines Gasthofs schaukelte eine trübe Hängelampe im Wind.
    Im Hausflur traf er auf den Wirt. »Anschirren, heute noch?«, fragte dieser ungläubig. »Und auch noch nach Riedenthal?« Der Wirt schüttelte den Kopf. Man sähe ja bald nicht mehr die Hand vor den Augen, das Wetter würde auch schlechter.
    »Außerdem weiß ich nicht, obs den Riedenthalern so recht ist, wenn man im Finstern noch zu denen kommt. Die sind nämlich eine eigene Rass. Wenns Pech haben, brennt Ihnen einer von den Bauern mit seinem Schießprügel eine drauf, weil er glaubt, dass bei ihm einbrechen wollen.
    Kajetan gab sich amüsiert. »Hört sich an, als wärs schon mal passiert?«
    Der Wirt blieb ernst. »Da draußen ist schon viel passiert.« Er öffnete die Tür zur Gaststube, ging voraus und bedeutete Kajetan mit einer einladenden Geste, ihm zu folgen. »Heut werdens außerdem nirgendwo mehr hinkommen, der Omnibus auf Riesbach ist auch schon fort. Ich tät Ihnen ein Zimmer herrichten lassen, zum Essen müsst auch noch was da sein.« Er machte eine Kopfbewegung zu einem Alten mit ungekämmtem Schopf, der neben zwei nur wenig jüngeren Kartenspielern an einem Tisch in der Nähe der Schänke saß und auf seinen Bierkrug stierte. »Der Dore muss morgen Vormittag eh in die Richtung, der könnt Ihnen mitnehmen.« Er hob die Stimme: »Dore? Du fahrst doch morgen früh ins Holz. Kannst den Herrn doch mitnehmen, oder?«
    »Was möcht ern da?«, brummte der Angesprochene.
    Der Wirt streifte Kajetan mit einem fragenden Blick, bevor er mit ratloser Geste antwortete: »Geht uns nichts an. Nimmst ihn mit oder nicht?«
    »Von mir aus.«
    Der Wirt nickte zufrieden. »Sehns, Herr, schon passt alles. Dann lass ich jetzt das Zimmer herrichten, gell?«
    Kajetan überlegte kurz. Dann willigte er ein. Der Wirt drehte sich zur Küchentür.
    »Mamma? Kannst dem Herrn noch was zum Essen herrichten?«
    »Freilich.« Im Türrahmen neben der Schänke erschien eine schlohweiße Alte. Sie blinzelte Kajetan an, schmatzte mit den Lippen ihres

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