Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
geschlüpft war. »Officer Hegarty«, sagte sie mit sanfter Stimme und zwinkerte ihm kurz zu. »Sie haben auf der Flasche Fingerabdrücke gefunden. Es handelt sich dabei um das Getränk, das Mr Stockbridge mit seiner abgelehnten Kreditkarte bezahlen wollte, nicht war?«
»Ich glaube schon, ja.«
»Waren nicht schon deshalb seine Fingerabdrücke darauf?«
»Doch, natürlich.«
»Mein Mandant war am Tatort, selbstverständlich, das ist gar nicht zu bestreiten. Er hat die Flasche berührt, selbstverständlich, es war ja schließlich sein Getränk. Er geriet in einen Streit, nahm sein Getränk und folgte Mr Johnson in dessen Büro. Einige Minuten später kam er wieder heraus, wurde von der Überwachungskamera beim Verlassen des Lokals gefilmt und traf sich dann draußen mit seiner Verlobten. Taxi-Daten belegen, dass sie anschließend nach Hause fuhren. Ist das eine korrekte Zusammenfassung der Tatsachen?«
»Ich denke schon, ja.«
»Sie sagten, es habe dort viel Blut gegeben, Officer.« Ihre Stimme klang ganz sanft. »Würden Sie dann nicht erwarten, dass der Täter Blutspritzer abbekommen hat?«
Hunt erhob sich. »Hohes Gericht, der Zeuge ist kein rechtsmedizinischer Fachmann.«
Kylie schaute ganz unschuldig. »Hohes Gericht, er ist ein erfahrener Polizeibeamter.«
»Fahren Sie fort«, sagte der Richter, ohne den Blick zu heben.
Hegarty antwortete: »Meiner Erfahrung nach: ja. Normalerweise schon.«
»Haben Sie an der Kleidung meines Mandanten irgendwelche Blutspuren entdeckt?«
»Einen kleinen Tropfen auf dem Hemdsärmel.«
»Das würde ja zu dem leichten Faustschlag passen, den mein Mandant gestanden hat?«
»Einspruch! Das ist nicht das Fachgebiet des Zeugen!«
Kylie lächelte nur. »Ich ziehe die Frage zurück. Sie selbst haben die Wohnung des Angeklagten kontaminiert, nicht wahr, Officer?«
»Ja, ich hatte versehentlich noch etwas Blut vom Tatort am Schuh und habe es bei der Festnahme hinterlassen, aber diese Blutspur wurde vermerkt und außer Acht gelassen.«
»Hohes Gericht, Sie finden bei Ihren Unterlagen auch eine Aussage des Taxifahrers, der das Paar nach Hause fuhr. Wie Miss Miller hat auch er nichts Ungewöhnliches bemerkt, schon gar keine ausgiebigen Blutspritzer, wie sie, dem Tatort nach zu schließen, von dem Opfer ausgegangen sein müssen.«
»Wenn Sie bitte zum nächsten Punkt kommen würden, Miss McCausland«, sagte der Richter gereizt.
Sie lächelte. »Gern. Dieser Bericht der Personalabteilung, auf den Sie gestoßen sind, Officer: Ging es darin nur um meinen Mandanten?«
»Nein, mehr um die allgemeine Arbeitsatmosphäre in der Bank.«
»Wo ist der Bericht, von dem Sie da sprechen?«, fragte der Richter und blätterte in seinen Unterlagen.
»Oh«, sagte Kylie mit gespielter Treuherzigkeit. »Hat die Staatsanwaltschaft etwa versäumt, diesen Bericht vorzulegen?«
»Hohes Gericht, ich werde dafür sorgen, dass er sofort nachgereicht wird«, beeilte sich Hunt zu sagen.
»Tun Sie das. Und beziehen Sie sich künftig bitte nicht noch einmal auf etwas, das dem Gericht gar nicht vorliegt.«
Vereinzeltes Gekicher. Hegarty lächelte, aber dieses Lächeln schwand sofort, als er zu Stockbridge hinüberblickte. Der Mann schwankte; er sah aus, als könnte er jeden Moment zusammenbrechen.
Keisha
Die letzten Kinder waren längst aus der Grundschule geströmt, aber Ruby war immer noch nirgends zu sehen gewesen. Die Büsche waren trocken, halb tot, verglichen damit, wie sie ausgesehen hatten, als Keisha sich im Juni darin versteckt hatte. Bedeckt mit dem Staub eines langen Londoner Sommers.
Tja, dann war die Kleine heute wohl nicht da. War sie krank? War sie weggezogen? Keisha hatte nicht die leiseste Ahnung. Sie kam hinter dem Mauervorsprung hervor und ging von der Schule fort. Wohin jetzt? Nach Hause wollte sie nicht – es gab zu viel, was sie Charlotte verschwieg. Das mit der Hintertür des Clubs und … na ja, auch noch andere Dinge.
Wohin sonst? Zur Arbeit konnte sie nicht; sie hatte sich vor ein paar Tagen krankgemeldet. Sie hatte Angst davor, Ron zu begegnen und ihm erklären zu müssen, was sie selbst nicht verstand. Sie fürchtete, er würde sie wieder küssen, und fürchtete zugleich, er würde sie nie wieder küssen – wenn er wüsste, was sie getan hatte.
Mist, Bullen! Keisha duckte sich in einen Ladeneingang, als auf der anderen Straßenseite zwei Polizisten auftauchten. Sie trugen gelbe Westen, waren also nur Community Support, aber dennoch. Keisha machte lieber einen
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