Amnion 2: Verbotenes Wissen
Minuten.
Die Liftkabine stoppte. Die Tür rollte beiseite.
Davor stand Mikka Vasaczk.
Verdutzt starrte die Erste Offizierin Morn an.
Nein, nicht sie, Morn konnte sie unmöglich angreifen. Zwar war sie es gewesen, die in der Hilfssteuerwarte Morn für Nick unschädlich gemacht hatte. Andererseits jedoch schuldete Morn ihr Rücksichtnahme, nicht für aktive Hilfe, aber zumindest für eine gewisse Freundlichkeit und fürs Schweigen. Und hätte Mikka es nicht getan, wäre Morn letztendlich von jemand anderem überwältigt worden.
Aber Davies war vollkommen hilflos; er konnte sich nicht selbst verteidigen. Kämpfte Morn nicht um ihn, verschwand er zu den Amnion.
Mit der geballten Schnelligkeit, die ihr das Z-Implantat ermöglichte, sprang Morn auf Mikka zu, die zurückschrak und beide Hände hob, um zu zeigen, daß sie unbewaffnet war, die Handflächen vorwies.
Mitten im Sprung fing Morn sich ab.
Behalte die Ruhe. Du hast genug Zeit.
Mikka wich, die Hände weiterhin in die Höhe gestreckt, an die Wand des Aufzugs zurück. Ein bitterernster Ausdruck der Unnachgiebigkeit verkniff ihre Miene.
»Das ist ja wirklich merkwürdig«, stieß sie barsch hervor. »Ich könnte schwöre, Nick hat behauptet, du lägst in völlig hilfloser Verfassung in deiner Kabine. Das sind wahrhaftig miese Verhältnisse, wenn man sich nicht mal darauf verlassen darf, daß der Kapitän eines Raumschiffs es versteht, ’ne Radioelektrode einzuschalten.«
»Halt dich raus«, knirschte Morn durch die Zähne. »Gegen dich hab ich nichts.«
Spöttisch verzog Mikka die Lippen. In ihrem Gesicht spiegelte sich Trostlosigkeit. »Wußtest du, daß Lumpi mein Bruder ist?« fragte sie im selben Tonfall wie zuvor. »Als unsere Eltern gestorben sind, konnte er nirgends hin. Sie waren sowieso zu arm gewesen, als daß er irgendeine Wahl gehabt hätte. Diesen Job hat er von mir vermittelt gekriegt, damit ich auf ihn ’n Auge haben kann. Er ist kaum ’n paar Jahre älter als Davies. Du hast mir einmal die Wahrheit gesagt, als ich sie wissen mußte. Du bist das Risiko eingegangen, daß ich dich auffliegen lasse. Zu dumm, daß ich dir hier unten nicht übern Weg gelaufen bin. Sonst hätte ich dich vielleicht noch mal niederschlagen können.«
Vierzehn Minuten.
Morn mangelte es an Zeit, um Dankbarkeit zu verspüren. Das Herz wummerte ihr zu heftig in der Brust. Sie mußte an ihrem schwarzen Kästchen zu intensive Einstellungen vorgenommen haben: Die Lungen konnten ihren Organismus kaum mit genügend Luft versorgen.
Morn wandte sich um und rannte in die Richtung zur Hilfssteuerwarte.
Sie lag in der Nähe der Lifts: nur einen Abschnitt des Korridors weiter, der um den Mittelpunkt des Raumschiffs verlief. Kaum daß sie Mikka stehengelassen hatte, nahm das Deck eine Aufwärtskurve; Morn beachtete es nicht. Sie schenkte ausschließlich den Türen Aufmerksamkeit, an denen sie vorübereilte, darunter Türen, von denen sie wußte, davon ging keine Gefahr aus, und andere, die sich öffnen mochten und ihr Verdruß verursachen könnten.
Der Eingang zum Maschinenanlagen-Schaltraum und zum Maschinenraum stand weit offen. Ihn mußte sie nehmen. Dort befanden sich die Hauptschaltungen für die Kosmokapseln. Das war als Sicherheitsvorkehrung so angelegt: Selbst wenn sämtliche übrigen Bordsysteme ausfielen, konnte man vom Schaltraum aus noch die Rettungsboote starten.
Morn lugte um die Ecke.
Vector Shaheed betätigte sich, Morn den Rücken zugedreht, an einer seiner Tastaturen.
Dreizehn Minuten.
Die Frist drängte Morn zur Hast, sie neigte unwillkürlich zur Hyperventilation. Bleib ruhig. Sie mußte hinein, irgendwie an Vector vorbeigelangen. Aber sie mochte ihm nichts tun. Er hatte sie – aus eigenen Beweggründen – anständig behandelt. Und er litt allemal schon an genug Beschwerden. Der bloße Gedanke, ihm weh tun zu müssen, um ihrem Sohn zu helfen, erneuerte in ihrem Mund den Geschmack des Brechreizes.
Bleib ruhig!
Es gab noch etwas anderes, das sie erledigen mußte. Sie hatte Zeit. Wenn sie es zuerst tat, war Vector vielleicht fort – in die Antriebskammern oder hinauf zur Brücke gegangen –, wenn sie zurückkehrte.
Um ihn schonen zu können – oder um zu behüten, was von ihr selbst noch vorhanden war –, flitzte sie an dem Zugang vorbei und betrat die Hilfssteuerwarte.
Sie hätte nicht unbesetzt sein dürfen. In dieser Nachbarschaft zu amnionischen Kriegsschiffen hätte die Besatzung vollständig auf Gefechtsstation sein müssen. Aber
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