Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Jahren bei der Petrowka arbeitete, hatten alle sich längst daran gewöhnt und nahmen seinen ständigen Unmut und sein Gejammer als gottgegeben hin.
»Na, was habt ihr gefunden?«, fragte Olschanskij im Vorübergehen, so, als sei er sich sicher, dass sich des Rätsels Lösung in dieser Wohnung verbarg und man nur die Augen öffnen musste, um diese Lösung zu finden.
»Vielleicht haben wir tatsächlich etwas gefunden«, erwiderte Korotkow vorsichtig. »Larissa Michajlowna wurde gestern gegen zwei Uhr von einem Mann angerufen, der sich ihr als Viktor Derbyschew vorgestellt hat.«
»Wie? Wie hat er sich ihr vorgestellt?«
»Als Viktor Derbyschew. Offenbar hat dieser Mann nicht gewusst, dass Derbyschew im Moment in U-Haft ist. Larissa Michajlowna hat das auch nicht gewusst und ihm deshalb geglaubt. Die Stimme des Mannes hat keine Ähnlichkeit mit der von Derbyschew, aber wahrscheinlich hat Larissa dessen Stimme nicht gekannt. Sie hat ihm einen Brief geschrieben und ein Foto von sich beigelegt. Und gestern hat irgendein Mann bei ihr angerufen und sich als Derbyschew ausgegeben. Er hat den Erhalt ihres Briefes bestätigt und mitgeteilt, dass er abends zwischen acht und halb neun an der Metrostation Akademicheskaja auf Larissa warten würde. Nachdem Larissa Michajlowna gestern von der Arbeit nach Hause gekommen war, hat sie sich ein wenig hingelegt und dann kurz nach sieben die Wohnung verlassen. Ihren Wagen hat sie gestern in der Nähe der Poliklinik stehen lassen, sie muss die Metro oder ein Taxi genommen haben.«
»Akademicheskaja«, murmelte Olschanskij. »Schon wieder die Akademicheskaja. Die Schirokowa war auch dort am Tag ihrer Ermordung. Man könnte meinen, der angebliche Derbyschew hat auch sie dorthin gelockt. Der Teufel weiß, was hier passiert. Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
Nach einer Weile schickte Olschanskij Nastja und Jura nach Hause und blieb mit Subow allein in der Wohnung. Das bedeutete, dass er sich auf den Rand eines Stuhles setzen und lange nachdenken würde, während Oleg neben ihm ausharren und in jedem Moment bereit sein musste, irgendeine Idee, die dem unermüdlichen Untersuchungsführer in den Kopf kam, zu überprüfen. Zum Beispiel: Schau dir mal das Geschirr in der Küche an. Was wurde vor kurzem benutzt und abgespült? Oder: Sieh mal im Bad nach, ob du feuchte Handtücher findest und ob die Seife feucht ist. Wann wurde der Rasierapparat zum letzten Mal benutzt? Man konnte nie wissen, was Olschanskij in den Sinn kommen würde, und Oleg Subow blieb nichts anderes übrig, als geduldig auf seine Anweisungen zu warten.
* * *
»Was ist nun mit Alla Sergejewna Strelnikowa?«, fragte Korotkow, nachdem er mit Nastja in sein altes, von den Moskauer Straßen und dem schweren Leben gebeuteltes Auto gestiegen war.
»Es ist eher etwas mit ihrem Sohn. Du kannst mich auslachen, Jura, aber ich konnte mein tiefes Misstrauen gegen Wladimir Alexejewitsch Strelnikow nicht überwinden und habe deshalb Informationen über ihn eingeholt. Unter anderem habe ich mit Anna Leontjewa gesprochen, die mit Alla Sergejewna befreundet ist und Strelnikow nicht mag. Außerdem mit ihrem Mann Genadij Fjodorowitsch Leontjew, der Strelnikow vergöttert und dem Alla Sergejewna gleichgültig ist. Von diesen Leuten habe ich Folgendes erfahren. Alla Sergejewna verlangt von ihrem Mann regelmäßig Geld für Ausgaben, die sie in Wirklichkeit gar nicht hat. Genadij Fjodorowitsch beteuerte mir mit Schaum vor dem Mund, wie anständig und edel sein Freund Strelnikow sei. Obwohl von seiner Frau getrennt und praktisch in Scheidung lebend, soll er ihr eine Wohnungsrenovierung nach europäischem Standard bezahlt haben und sie ständig mit großen Geldsummen unterstützen. Sie lässt sich auf seine Kosten teure kosmetische Operationen machen, er bezahlt ihre Autoreparaturen, luxuriöse Urlaubsreisen ins Ausland und so weiter. Aber Leontjews Frau Anna, die nichts von meiner Unterhaltung mit ihrem Mann wusste, hat mir etwas ganz anderes erzählt. Alla Sergejewna soll eine ungewöhnlich schöne Frau sein und aussehen wie dreißig, obwohl sie einen erwachsenen Sohn hat. Sie soll sich ihr jugendliches Aussehen ganz ohne die heute üblichen Schönheitsoperationen erhalten haben. Außerdem würde sie Tag und Nacht arbeiten und sich nie einen Urlaub gönnen. Bestenfalls würde sie mal auf ihre Datscha fahren, da sie immer erreichbar bleiben will und sofort in die Stadt zurückkehrt, wenn sie in ihrem Modehaus gebraucht wird. Sie sei
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