Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Kinder hatten, führten sie eine gute Ehe, stabil und voll menschlicher Wärme. Lohnte es sich, das alles wegen einer vagen Hoffnung aufs Spiel zu setzen, der Hoffnung darauf, Wolodja Strelnikow zu vernichten?
Doch, es lohnte sich, entschied Larissa. Es war immer besser, die Wahrheit zu wissen.
* * *
Die Briefe, die auf Tomtschaks Datscha gefunden wurden, verblüfften Untersuchungsführer Olschanskij. Es handelte sich nicht etwa um Liebesbriefe, sondern um Kontaktaufnahmeversuche.
Liebe Ljudmila!
Ich habe Ihre Adresse von der Kontaktagentur Amor bekommen. Ein paar Worte über mich: Ich bin zweiundvierzig Jahre alt, einst war ich verheiratet, aber nicht glücklich, ich habe keine Kinder. Mein Leben lang habe ich nach einer Frau gesucht, die meinem Ideal entspricht. Sie soll zärtlich, ruhig und zurückhaltend, aber in der Liebe hemmungslos sein. Leider habe ich bisher kein Glück gehabt, aber ich hoffe, dass die Begegnung mit Ihnen zu dem Fest werden wird, auf das ich schon so lange warte. In der Agentur hat man mir gesagt, dass Sie einen Mann kennen lernen möchten, der nicht jünger als fünfunddreißig Jahre alt und zu sexuellen Experimenten bereit ist. Ich glaube, dass ich Ihre Wünsche voll und ganz erfüllen könnte. Anbei schicke ich Ihnen ein Foto von mir. Nun liegt es an Ihnen.
Nikolaj Lopatin
Die zwei weiteren Briefe unterschieden sich vom ersten nur in einigen Details und im Absender.
»Nicht schlecht«, sagte Nastja und pfiff durch die Zähne, als Olschanskij ihr die Briefe zeigte, genauer, die Fotokopien, da die Originale sich beim Gutachter befanden. »Mademoiselle Schirokowa hat also die Dienste einer Heiratsagentur in Anspruch genommen. Wozu sie das wohl gemacht hat? Nach allem, was ihre Bekannten über sie erzählt haben, hat es ihr nicht an Aufmerksamkeit seitens der Männer gefehlt. Bekanntlich war sie nicht gerade prüde und hat immer sehr bereitwillig auf Angebote reagiert. Vielleicht hätte sie gern geheiratet, aber niemand hat sie genommen, weil jeder nur mit ihr ins Bett wollte?«
»Vielleicht«, sagte Olschanskij. »Es gibt allerdings ein Aber. Schau dir mal das Datum des Briefes an, den ein gewisser Derbyschew geschrieben hat.«
Nastja nahm den Brief zur Hand und hob ihre Augenbrauen. Der Brief stammte vom September. Zu dieser Zeit lebte Mila Schirokowa bereits mit Strelnikow zusammen, und die beiden hatten sich kirchlich trauen lassen.
»Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Sollte sie sich ihrer Beziehung zu Strelnikow so wenig sicher gewesen sein, dass sie anderweitig Vorsorgen wollte?«
»Genau das frage ich mich auch. Überleg einmal: Strelnikow tut wegen der Schirokowa nach zwei, drei Monaten das, was er wegen Ljuba auch nach zwei Jahren noch nicht getan hat: Er reicht die Scheidung von seiner Frau Alla Sergejewna ein und lässt sich mit Mila in der Kirche trauen. Es handelt sich zwar nur um eine symbolische Hochzeit, die im juristischen Sinn keine Gültigkeit hat, aber auf der Gefühlsebene außerordentlich bedeutsam ist. Zeugt das nicht von der Ernsthaftigkeit seiner Absichten? Ernsthafter könnte es doch gar nicht sein. Aber der Schirokowa ist es immer noch nicht genug. Wie erklärst du dir das?«
Nastja drehte den Brief nachdenklich hin und her und legte ihn vorsichtig zurück auf den Schreibtisch. Sie hätte sich gern eine Zigarette angesteckt, aber sie wusste, dass Olschanskij von Zigarettenrauch Kopfschmerzen bekam, und hielt sich zurück, obwohl Konstantin Michailowitsch immer nachsichtig mit ihr war und ihr das Rauchen trotzdem erlaubte. Er riss nur das Fenster sperrangelweit auf, selbst bei einer Außentemperatur von minus zwanzig Grad. Es ist einfacher, anschließend wieder warm zu werden, als die Kopfschmerzen loszuwerden, pflegte er in solchen Fällen zu sagen.
»Ich habe zwei Hypothesen«, sagte Nastja vorsichtig, während sie begehrlich nach dem Aschenbecher schielte, der auf dem Fensterbrett stand. »Die erste: Die Schirokowa wusste, dass es etwas gab, das ihre Beziehung zu Strelnikow bedrohte, etwas ziemlich Gewichtiges, sie wusste, dass diese Beziehung jeden Moment zu Ende gehen konnte. Deshalb hat sie vorgesorgt und einen Ersatzmann über eine Heiratsagentur gesucht. Diese Idee gefällt mir allein schon deshalb, weil die uns unbekannte Gefahr, die die Beziehung bedrohte, durchaus der Grund für den Mord an der Schirokowa sein könnte.«
»Und die zweite Hypothese?«
»Die ist so blödsinnig, dass es mir peinlich ist, darüber zu sprechen. Ich
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