Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Interesse der Aufklärung eines schweren Verbrechens stand. Drück deine Zigarette aus und lass uns essen.«
»Ljoscha, ich kann nicht, Ehrenwort«, flehte Nastja. »Bitte zwinge mich nicht. Schade um das schöne Essen.«
»Du musst, meine Liebe, du musst. Du weißt genau, dass es nicht anders geht. Wenn du jetzt nichts isst, wird dir morgen schwindelig sein, das hat die Erfahrung schon hundert Mal gezeigt. Geh dir die Hände waschen.«
Nastja erhob sich langsam und unsicher vom Stuhl, mit einer Hand stützte sie sich auf die Tischplatte, mit der anderen hielt sie sich an der Stuhllehne fest.
»Was ist los?« Ljoscha sprang sofort auf, um ihr zu helfen. »Hast du wieder zu schwer getragen?«
»Nein, habe ich nicht, Ehrenwort. Wahrscheinlich habe ich Zug gekriegt.«
»Lieber Gott, Nastja, wann wirst du endlich ein Mensch?«, stöhnte Tschistjakow. »Wann lernst du es endlich, das Richtige zu tun und das Falsche zu lassen? Was stehst du noch hier herum? Beweg dich in Richtung Bad, du wolltest dir die Hände waschen.«
»Wenn du mit mir schimpfst, vergesse ich, was ich tun wollte. Ich habe Angst vor dir.«
Nastja hatte sich endlich aufgerichtet und ging ins Bad. Während sie ihre Hände einseifte, betrachtete sie sich im Spiegel über dem Becken. Ljoscha hatte Recht, er hatte immer Recht, er war viel klüger und vernünftiger als sie. Man konnte sein Leben wahrscheinlich wirklich so einrichten, dass die Probleme sich in Grenzen hielten. Zum Beispiel nichts heben, das schwerer war als drei Kilo, denn nach einem Unfall hatte Nastja bereits seit acht Jahren Rückenschmerzen. Sich warm halten und Zugluft meiden. Nicht zulassen, dass die Ermittlerleidenschaft Oberhand über normale menschliche Gefühle gewann. Man konnte sich zusammennehmen und seine ganze Aufmerksamkeit darauf richten, dass man nicht zweimal über denselben Fallstrick stolperte. Zwar waren die Fallstricke an allen Ecken und Enden ausgelegt, aber es gab schließlich Leute, die es schafften, alle diese Hindernisse im Auge zu behalten. Konnte nur sie, Nastja Kamenskaja, das nicht? Aber sicher konnte sie das. Nur, wenn man den Kampf mit all den Fallstricken aufnahm, blieb für nichts anderes mehr Kraft übrig. Nicht für die Arbeit, nicht für die Freundschaft, nicht für die Liebe, nicht für Hobbys. Für gar nichts mehr. Tödliche Langeweile. Man musste sogar auf das Vergnügen verzichten, ab und zu auf die Nase zu fallen.
* * *
Alla Strelnikowa hatte sich bereits hingelegt, aber sie konnte nicht einschlafen. Heute Nacht schlief sie allein, wie auch schon gestern und vorgestern. Ihr Freund war bereits seit fast einer Woche auf Geschäftsreise, und Alla nutzte die Gelegenheit, um sich von ihm zu erholen und auszuschlafen. Für sie war jede Stunde Schlaf wichtig, da sie bereits in einem Alter war, in dem Schlafmangel sich am nächsten Morgen in welker Haut äußerte, in vermehrter Faltenbildung und Mattigkeit.
Immer, wenn Alla nachts allein war, dachte sie an Wolodja, ihren Mann, mit dem sie seit zwei Jahrzehnten verheiratet war und einen Sohn großgezogen hatte. Warum war alles so gekommen? Er hatte sie immer betrogen, fast vom ersten Tag ihrer Ehe an, sie hatte das genau gewusst, aber sie hatte es nie für notwendig gehalten, ihn zu »erwischen« und zu überführen. Wozu auch! Er war ein guter Ehemann und Vater, brachte genug Geld nach Hause und erfüllte regelmäßig seine ehelichen Pflichten, außerdem war er sehr gut aussehend, charmant und erfolgreich, Alla wurde von allen ihren Freundinnen beneidet. Warum war es ihr im einundzwanzigsten Jahr ihrer Ehe plötzlich in den Sinn gekommen, ihn der Untreue zu überführen? Welcher Teufel hatte sie geritten? Warum hatte sie das getan? Von einem Tag auf den andern war die Eigenliebe in ihr erwacht und hatte ihr diesen Unsinn eingeflüstert. Es reicht, hatte sie sich gesagt, er macht eine Idiotin aus dir, du bist bereits zweiundvierzig, gib ihm endlich zu verstehen, dass du kein Kind mehr bist, das man endlos an der Nase herumführen kann. Sag ihm, dass du seit jeher von seinen Seitensprüngen gewusst, aber geschwiegen hast, weil du eine kluge Frau bist, die sich und ihre Gefühle in der Hand hat. Er soll endlich anfangen, dich zu respektieren und zu schätzen. Nach zwanzig Ehejahren wird er dir nicht verloren gehen.
Alla folgte ihrer tückischen inneren Stimme und beging damit einen verhängnisvollen Fehler. Strelnikow machte zwar einen schwachen Versuch, sich herauszureden, aber Alla drückte ihn
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