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Andreas Steinhofel

Andreas Steinhofel

Titel: Andreas Steinhofel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Mitte der Welt
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nachgedacht«, verkündet Kat, als wir das
Hauptgebäude durchquert und den modernen Anbau erreicht
haben. Vor uns verteilen sich Schüler auf die Kursräume. »Was
wäre – also, nur mal angenommen -, was wäre, wenn du dich
wirklich mal in einen Typen verliebst?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, würdest du es geheim halten oder so? Schließlich weiß
hier kein Schwein, dass du schwul bist.«
»Du musst nur ein bisschen lauter schreien, dann weiß es bald
jeder.«
»Also komm, sag schon.«
»Ich würde gar nichts geheim halten. Schon der Ausdruck
klingt völlig bescheuert.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
Und ob ich das weiß. Es geht um einen der weißen Flecken
auf der Landkarte meiner Seele. Wütend und in die Ecke
gedrängt bleibe ich stehen.
»Kat, ich lebe nicht auf dem Mond, okay? Ich weiß, dass
dieses Kaff in helle Aufruhr geraten würde, wenn ich mit einem
Freund aufträte – was ich tun würde, wenn ich einen hatte. Ich
weiß auch, dass irgendwelche Sittenwächter sich weiße
Kapuzen aufsetzen, nachts auf Kühen nach Visible geritten
kommen und uns eine tote Katze an die Tür nageln würden.
Und du solltest wissen, dass mir das scheißegal ist!«
Ich gehe weiter, mit schnellerem Schritt als zuvor. Kat trabt
neben mir her. »Nun reg dich doch nicht gleich so auf! War
doch nur eine Frage.«
Aber eine Frage, mit der sie direkt unter die Gürtellinie gezielt
hat und auf die ich bestenfalls eine theoretische Antwort weiß.
Mit einem Freund aufzutreten ist eine Probe, die noch darauf
wartet, bestanden zu werden. Es wird kein Zuckerschlecken
werden – Tereza hat mir das mehr als einmal versichert, und sie
muss es wissen -, aber es ist nichts, wovor ich mich fürchte. Die
Aura der Unangreifbarkeit, die Dianne und mich seit der
Schlacht am Großen Auge jahrelang umgeben und vor
Angriffen geschützt hat, ist nie ganz verblasst. Ich bin nicht
hilflos, ich kann mich zur Wehr setzen. Davon abgesehen,
würde ich damit leben können, schräg angesehen zu werden. Ich
bin damit groß geworden.
»Weißt du, zur Offenheit gehören in diesem Fall zwei, Phil«,
bohrt Kat weiter. »Was würdest du tun, wenn du einen Freund
hättest, der keine Lust darauf hat, angemacht zu werden, und
der… na ja, der eine Beziehung eben doch lieber geheim halten
würde?«
»Beziehung? Das klingt wie heiraten.«
»Und du klingst wie deine Mutter.«
»Glass würde ein Wort wie heiraten nie in den Mund nehmen.
Sie findet es obszön.«
»Ansichtssache, oder?«, sagt Kat. »Die Leute hier finden es
obszön, dass sie stattdessen andere Dinge in den Mund nimmt.«
»Die Leute hier«, ich zeige auf die zu beiden Seiten an uns
vorbeihastenden, verspäteten Schüler, »sind alt genug, um
eigene Ansichten zu haben. Warum sollten sie die Vorurteile
ihrer Eltern mit sich herumschleppen?«
»Weil es bequemer ist als nachdenken.«
»Stammt das auch von Nietzsche?«
»Nein, das stammt von mir.«
Wir sind vor dem Unterrichtsraum angekommen. Kat, mit
ihrem ausgeprägten Sinn für dramatische Auftritte, lässt mir den
Vortritt, um dann mit einem so lauten Schlag die Tür hinter sich
zufallen zu lassen, dass uns zwanzig erschreckte Blicke
zufliegen und ebenso viele bis dahin munter plappernde Münder
offen stehen.
»Ach, das Fräulein Direktor!«, höhnt von irgendwo eine
Stimme.
»Dir auch einen schönen guten Morgen, Kotzbrocken«, wirft
Kat in den Raum und bringt damit sofort die Lacher auf ihre
Seite. Während die Unterhaltungen wieder aufgenommen
werden, suchen wir einen Tisch, an dem noch zwei Stühle frei
sind. Wir haben uns gerade hingesetzt, als die Tür aufschwingt
und Händel den Raum betritt.
Eines der wesentlichen Stilmerkmale des Barock, eine
gewisse Üppigkeit und ausladende Fülle, ist auch Händel nicht
abzusprechen. Er trägt einen von seiner Liebe zu ausgesuchten
Tafelfreuden zeugenden Bauch vor sich her, der ihn dazu
zwingt, kleine, beinahe trippelnde Schritte zu setzen. Der so
entstehende Eindruck körperlicher Langsamkeit täuscht
gewaltig; er steht in direktem Gegensatz zu Händels fulminanter
geistiger Beweglichkeit.
Händel ist nicht allein. Der Neue begleitet ihn, in einem
Abstand, der groß genug ist um zu verdeutlichen, dass er sich
nicht aus Unsicherheit an den Rockschoß des Lehrers gehängt
hat. Neben der Tafel bleibt er stehen, ich sehe ihn nur im Profil.
Händel spitzt die Lippen und macht eine beschwichtigende
Geste. Wenn man den Grad seiner Beliebtheit an dem

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