Angel 01 - Die Engel
kümmern.«
» Worauf ich hinauswill«, erklärte Vanessa, » ist Folgendes: Nicht jeder denkt so wie du. Mir macht es nichts aus zu sterben. Ich freue mich nicht gerade darauf, aber es beunruhigt mich auch nicht so sehr wie dich. Hier auf der Erde gibt es auch eine Hölle, und einige von uns leben darin. Ich habe sogar einmal versucht, Selbstmord zu begehen, obwohl ich katholisch bin. Hast du Sylvia Plath gelesen?«
Dave fühlte sich bei diesem Gespräch zunehmend unwohl.
» Wer ist das?«
» Eine Dichterin, die du irgendwann mal lesen solltest. Sie hat über Selbstmord geschrieben und sich schließlich auch umgebracht, und es war ein Triumph.«
» Woher willst du das denn bitte wissen? Sie ist doch nicht etwa von den Toten zurückgekehrt, oder? Woher willst du also wissen, dass sie es nicht bitter bereut hat, sich das Leben genommen zu haben, sobald sie es getan hatte? Komm schon, Vanessa, hör auf, dir die Sachen zurechtzubiegen, bis sie zu deiner Argumentation passen. Worauf willst du hinaus? Du willst dich umbringen, weil du hier auf der Erde eine schwere Zeit hattest. Weil du gelitten hast. Ich weiß, dass du ein paar heftige Sachen …«
» Kein Selbstmord, ich sagte doch, das geht gegen meine Religion. Aber sterben? Manchmal klingt das für mich nach einem wundervollen Ausweg. Eigentlich sollte es uns erlaubt sein, diese Wahl zu haben.«
Dave war sprachlos. Er hasste es, über Dinge wie Sterbehilfe und so zu sprechen. Das ganze Thema machte ihm Angst. Wenn Frauen im Bett zu dominant wurden, anfingen, über den Tod zu sprechen oder über monströse Gewalttaten, die von Männern verübt wurden, wie Vergewaltigung, oder auch nur über die Schwächen der Männer und die emotionalen Wunden, die Frauen erlitten, fühlte er sich unzureichend. Mit so etwas konnte er nicht umgehen. Er verstand, dass sie Bedürfnisse hatten, Wut spürten, Schmerz, Sorgen, Ängste, Eifersucht, Hass, Lust, Liebe. Aber er konnte diese Emotionen nicht spüren oder eine Verbindung zu ihnen herstellen, weil sie nicht so klangen, als seien sie wie die Gefühle, die er empfand.
Bei solchen Gelegenheiten wurden Frauen zu seltsamen Ozeanen mit großen Tiefen, unbekannten Strömungen und Bewegungen, die drohten, ihn zu ertränken. Dann hatte er manchmal regelrecht Angst vor Frauen, Angst vor diesem weiten Meer aus Gefühlen, die er nur erraten konnte, Angst vor etwas, das für ihn reine Dunkelheit war. Er wusste, dass er sich von diesen Gewässern mit ihren Strudeln fernhalten musste, die ihn in die alptraumhafte Welt der weiblichen Emotionen saugen würden.
» Was willst du eigentlich sagen, Vanessa?«, fragte er flehend. » Keine Spielchen.«
Sie beugte sich vor und sah ihm in die Augen.
» Ich will damit sagen, dass wir eine Botschaft an die richtige Stelle schicken müssen und dazu einen Boten brauchen, der sie überbringt.«
Plötzlich begriff er: Sie redete davon, dass einer von ihnen sterben musste.
» Himmel, wie meinst du das?«
» Du weißt, wie ich das meine.«
» Ich denke, ich weiß es, und ich bin geschockt. Die Idee ist reiner Wahnsinn.«
» Wirklich?«
» Du meinst also, einer von uns muss sterben, um die Botschaft zu den Erzengeln zu bringen?«
» Davon bin ich überzeugt. Und um noch einen Schritt weiterzugehen: Ich wäre die logische Wahl. Ich meine, du könntest nicht gehen.«
» Nur so aus Neugier: warum nicht?«
» Weil du glaubst, ein Mörder zu sein.«
Er wollte schon heftig protestieren, als ihm wieder einfiel, dass er ihr die Geschichte aus seiner Kindheit erzählt hatte. Er hatte sich eigentlich nie für einen Mörder gehalten, aber sie hatte Recht, er war einer. Das Wort stach in seiner vollen Bedeutung in sein Herz.
» Du hast auch getötet«, erwiderte er.
» Ich wollte meinen Vater nicht töten, aber du sagst, du hättest diesen Jungen mit Vorsatz umgebracht, auch wenn ich bezweifle, dass du es überhaupt getan hast. Ich habe so ein Gefühl, dass die beiden anderen Jungen vielleicht Recht hatten, dass das Kind einfach abgestürzt ist, du dir aber eingeredet hast, du wärst dafür verantwortlich, weil du der Grund für seinen Tod sein wolltest, weil du dich dafür rächen musstest, was er dir angetan hatte. Unser Geist versorgt uns mit dem, was wir wollen, Dave, unabhängig davon, ob es wirklich passiert ist.«
» Ich war verantwortlich …«
» Die Umstände sind fragwürdig, aber es bleibt die Tatsache bestehen, dass du an deine Schuld glaubst, und daran, dass du einen Mord geplant hast,
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