ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
geblieben war. Ein Zusammenschnitt flackerte durch seinen Verstand, eine Abfolge von Drinks, wie er sich eine Flasche gekauft, wie er die an den Hals gesetzt und daraus getrunken hatte, wie ein Wanderer in der Wüste, der eine kühle Quelle entdeckt hat.
Seine nächste Erinnerung war die, wie er verkatert, schmutzig und zitternd im Schein der frühen Nachmittagssonne unter einer Pappe hinter einem Elektrogeschäft aufgewacht war. Er hatte seine Brieftasche noch, also hatte er sich etwas zu essen und eine weitere lange Reihe von Getränken gekauft – diesmal aber Kaffee.
Er stieß sich aus dem Sessel hoch und ging ins Badezimmer. Auf dem Weg dahin knirschte etwas unter seinen Füßen.
Glas. Scherben des Glases, aus dem er den Orangensaft getrunken hatte, waren über den Küchenboden verstreut. Auch der Orangensaftkarton lag da. Und da, an der Wand, war ein Fleck, als habe jemand das Glas dagegengeworfen.
Jemand. Wer? Ich?
Wer sonst? Die Tür war verschlossen, als er nach Hause kam. Nichts war in Unordnung. Er war der Einzige, der einen Schlüssel hatte.
Er musste in der letzten Nacht zurückgekommen sein und danach die Wohnung wieder verlassen haben. Er schüttelte den Kopf. Wenn er sich doch nur erinnern könnte. Es war erschreckend, wenn einem kleine Teile seines Lebens abhanden kamen.
Trotz des pochenden Schädels fegte er die Splitter zusammen, schüttete sie in den Saftkarton und warf alles in den Müll. Dann ging er endlich ins Badezimmer, um zu duschen.
Eine halbe Stunde später, als er sauber und rasiert war und frische Kleidung trug, fühlte er sich fast wieder normal. Er würde zum Freitagabendtreffen der Anonymen Alkoholiker gehen, etwas, das er seit Jahren nicht mehr getan hatte. Er würde sich noch eine andere AA-Gruppe suchen, die sich samstags traf und er würde auch zu diesem Treffen gehen. Er würde jeden Abend zu einem Treffen gehen, bis er sicher war, dass er wieder alles unter Kontrolle hatte.
Aber es war erst fünf Uhr nachmittags. Noch Stunden bis zu dem Treffen. Seine Hand zitterte, als er sich eine Zigarette anzündete. Was sollte er bis dahin nur tun? Er wollte einen Drink, er verzehrte sich nach einem verdammten Drink! Gut, dass es so was in seiner Wohnung nicht gab. Er unterzog sich dem Ritual, sich eine Tasse Kaffee zu machen und fragte sich, wie er bis zu dem Treffen nüchtern bleiben solle. Er hatte keinen persönlichen Ansprechpartner bei den Anonymen Alkoholikern mehr – Evs letzter war vor ein paar Jahren weggezogen und er hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen anderen zu finden. Er hatte gedacht, er sei darüber hinweg.
Arbeit. Arbeit war besser als jeder Ansprechpartner, zumindest für ihn. Er konnte sich in den Gleichungen für seinen Artikel versenken und die Zeit würde nur so dahinfliegen.
Er setzte sich an seinen PC und fuhr ihn hoch. Er klickte auf den Shortcut zu seinem Artikel. Eine Fehlermeldung erschien: KEIN DOKUMENT.
Seine Brust schnürte sich zusammen. Er ging direkt ins Dateiverzeichnis –
Die Datei war nicht da!
Das konnte nicht sein. Eine Wahnvorstellung nach dem Besäufnis?
War die Datei da und er sah sie nur einfach nicht?
Nein. Sie war nicht da.
Wenigstens hatte er ein Backup auf seinem USB-Stick. Glücklicherweise achtete er immer darauf, ein Backup zu haben, für den Fall, dass so etwas passierte.
Zitternd schob er den kleinen Datenträger in den Anschluss und ging in das Dateiverzeichnis.
Auch da war keine Datei!
Oh nein! Bitte, bitte nicht!
Er führte eine Suche in allen Verzeichnissen durch. Jedes Mal das gleiche Ergebnis: keine Datei gefunden. Die Dateien waren weg! Unauffindbar!
Er stand auf und lief im Raum umher. Die Dateien – das Original und das Backup – waren gelöscht worden. Das waren seine einzigen Kopien. Er hatte die Dateien nie auf dem Universitätsrechner abgespeichert, weil er Angst gehabt hatte, jemand könnte sie öffnen und sich seine Arbeit ansehen, bevor er damit fertig war.
Er hatte alles verloren!
Aber wie? Er ließ seinen Computer nie laufen – Energieverschwendung – also konnte sich auch niemand in den Rechner gehackt haben. Und niemand hatte Zugang zum Rechner.
Niemand außer mir selbst.
Er blieb wie angewurzelt stehen. Er war letzte Nacht noch einmal hier gewesen – das zerbrochene Glas war der Beweis dafür. Was hatte er getan? Hatte er seine Dateien aufgerufen und sie in einem Anfall selbstzerstörerischer Wut gelöscht?
Das war die einzige Erklärung. Ein Jahr harte Arbeit – weg! Es würde
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