Angstspiel
Klamotten anhabe. Der Tag versucht mühsam sich durch den geschlossenen Rollladen zu pressen. Ganz dünne helle Streifen quetschen sich durch das Plastik.
Ich weiß nicht, ob ich das Klopfen nicht gehört habe. Oder ob Luise mal wieder nicht geklopft hat. Plötzlich steht sie neben mir.
»Wo bleibst du?«, fragt sie erstaunt.
Es ist ihr einfach zutiefst fremd, dass der Tag schon angefangen hat und ich noch nicht in der Küche sitze.
Sie schaut irritiert auf mich runter, starrt auf meinen Arm, sieht sofort, dass ich noch einen Pulli anhabe.
»Bist du schon angezogen?«
Ich nicke nur.
»Oder bist du noch angezogen?«
Ich mache die Augen zu. Will jetzt nichts erklären. Plötzlich schrecke ich hoch. Habe ich den Computer ausgemacht? Ist auf dem Bildschirm noch das Foto von mir? Luise sieht meinen Blick, guckt auch zu dem schwarzen Monitor. Guckt wieder zu mir und schlüpft dann unter die Decke.
»Stück mal ein Rück«, sagt sie leise und dieser Satz fühlt sich so wohlig an. Unsere Mutter sagt das immer. Findet das lustig. Wir haben sie damit immer aufgezogen und den Satz einfach irgendwann übernommen.
»Stück mal ein Rück« ist der Beginn des Kuschelns. Wie oft habe ich das Luise nachts ins Ohr geflüstert, wenn in meinen Träumen wieder Monster getobt hatten? Wenn ich mich dann an meine Schwester gekuschelt habe, lösten sich alle Dämonen in Luft auf.
Die Dämonen, die jetzt in meinem Kopf kreischen und wüten, lösen sich nicht auf. Aber sie werden ein bisschen leiser. Ich nehme einen tiefen Atemzug und rieche das Kokosgel von Luise. Luise ist der absolute Kokosfan. Ihr Gel riecht danach, ihre Bodylotion, ihr Badeschaum. Sie riecht immer wie ein Bounty. Ein bisschen nach Sonne, nach Urlaub, nach Strand. Und genau deswegen schiebt sich das Foto wieder vor mein inneres Auge. Ich am Strand, dicke Lippen, fleischige Brüste. Es ist so grausam.
Luise killert mich mit dem Zeigefinger am Hals. Eigentlich bin ich da total kitzelig. Heute nicht. Ich bin stumpf.
»Was ist los mit dir?«, will sie wissen.
Ich werde verfolgt. Ich werde tyrannisiert, gequält. Ich bin in meinem Leben nicht mehr zu Hause. Habe nur noch Angst. Unbändige Angst, die wie ein Orkan in mir wütet.
Ich habe das Gefühl, dass alle mich beobachten. Ich werde immer kleiner. Ich fülle meine Haut nicht mehr aus.
Soll ich das sagen? Soll ich sie bitten, mich zu beschützen?
Ja, vielleicht sollte ich das.
Ich kann es aber nicht. Meine Zunge ist gelähmt. Mein Mund zu trocken. Ich huste kurz, versuche mit ein bisschen Spucke die Lippen zu befeuchten.
»Ich glaube, ich habe mich erkältet«, fasele ich.
»Kannst du mich bitte, bitte anstecken. Morgen ist Berufsschule. Darauf habe ich überhaupt keinen Bock«, fleht Luise mit einem Grinsen im Blick.
Sie beginnt, an mir zu schnuppern. Wie ein Hund. Sie schnüffelt mit ihrer Nase über mein Gesicht, über meinen Hals.
»Wo sind die Bazillen? Her damit«, sagt sie lachend.
Vielleicht sind es nur zwei, drei Sekunden, die ich ihre Nähe genießen kann. Ich sauge sie auf, sauge sie ein.
Luise richtet sich auf. »Soll ich Ma Bescheid sagen, dass du krank bist?«
Es ist so verlockend. Einfach im Bett bleiben. Unter der Decke, hinter den Rollladen. Vielleicht kann ich die kleinen Schlitze mit Pappe zukleben. Ich würde den ganzen Tag Musik hören. Über Kopfhörer. Die Musik würde meinen Kopf fluten. Ich würde nichts sehen, nichts riechen, nichts sagen. Nur hören.
Aber ich weiß auch: So laut kann ich die Musik gar nicht drehen, dass sie die Stimme in mir übertönt. Ich kann mich nicht vor mir selber verkriechen. Das ist das Perverse. Ich muss mich gar nicht mehr vor ihm verstecken. Ich will vor mir selber fliehen. Mich von mir verabschieden.
»Nee, geht schon«, sage ich nur und setze mich auf.
Luise sieht die Plastikteile auf dem Fußboden.
»Was ist das denn?«
»Mein Handy.«
Sie guckt mich nur fragend an.
»Es ist mir runtergefallen.«
»Und dabei ist es so zersprungen?« Ihr Blick sagt: Willst du mich verarschen?
Meine Augen tasten mein Zimmer nach einer Erklärung ab. Sie werden fündig. »Es ist vom Bett gefallen, und die Hantel ist dann auch runtergefallen und direkt darauf. Totale Scheiße.«
Ihr Blick ist ein einziges Fragezeichen. Sie guckt von mir zu den Hanteln neben meinem Bett. Irgendwann habe ich mir in einem Anflug von sportlichem Wahn die beiden Teile und so ein Gymnastikband gekauft. An der Staubschicht darauf sieht man, dass mein sportlicher Ehrgeiz eher
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