Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
bewegten sich noch immer. Wieder schlug er mit der Lampe zu, wieder und wieder und wieder, in ihr Gesicht, und er hoffte, dass dieser monströse Körper unter dem Kimono endlich zu zucken aufhörte. Als das nicht geschah, rammte er den Fuß der Lampe in ihren Unterleib. Nach dem zweiten Schlag gegen ihren aufgeblähten Bauch, hörte er, wie etwas unter dem Kimono zerriss. Ihr ganzer Körper schien auf einmal weich zu werden und sich endlich zu entspannen.
»Meine Frau, meine Frau, meine Frau«, rief Mr. Shafer mit schwacher Stimme. Er lag noch immer auf dem Boden, unfähig, sich aus eigener Kraft zu erheben.
»Bloß nich’ Mitleid mit dem haben«, sagte der Junge mit der Kapuze. »Am Schluss tun sie sich alle selbs’ leid, dabei musst’ es ja so komm’n.«
Seth nickte zustimmend und ging über den Teppich zu Mr. Shafer, um auch ihn fertigzumachen. Es klang plötzlich, als würde er durch Matsch waten. Das war die Flüssigkeit, die unter Mrs. Shafers Kimono heraustroff.
»Es ist gar nicht so schwierig, wenn man erst mal angefangen hat«, sagte Seth überrascht zu dem Jungen. »Man verliert seine Beherrschung und dreht total durch.«
»Stimmt genau.«
»Aber was mich erstaunt, ist, dass sie nichts sind. Am Schluss sind sie völlig bedeutungslos.«
Der Junge nickte begeistert.
Seth rammte den Ständer der Lampe in Mr. Shafers Körpermitte. Es fühlte sich an, als schmetterte man einen riesigen Eisenfuß auf trockene Äste auf dem Waldboden.
»Das is’ noch was, das ich dir heut Nacht zeig’n soll«, sagte der Junge.
»Bitte nicht. Nicht da rein.« Seth stand vor dem Apartment mit der Nummer sechzehn. Der Türrahmen aus Teakholz schimmerte golden, und unter der schweren Tür war ein rötlicher Schein zu sehen, der auf den grünen Teppich des Korridors fiel. Er spürte, wie ihm etwas ganz Bestimmtes, Unangenehmes aus der Wohnung entgegenkam, das ihn mit nackter Panik erfüllte. Zu diesem Gefühl gesellte sich ein weit entfernter Klang, den er schon einmal vernommen hatte, aber nicht einordnen konnte. Stimmen. Herumwirbelnde Stimmen. Ein Durcheinander von Stimmen, das sich anhörte wie eine rückwärts abgespielte Tonbandaufnahme. Leise, als würden Kinder in einem weit entfernten Haus weinen, an einem tristen Winternachmittag, an dem die Sonne es nicht schafft, durch die Wolken zu kommen. Fern und verloren. Aber der Chor schwoll an. Im Apartment, aber auch woanders. Über ihm.
Er war starr vor Angst und versuchte zurückzutreten, aber die Tür kam auf ihn zu.
»Du musst das mach’n«, sagte der Junge mit der Kapuze. »Er will dir auch die ganzen an’ern zeigen, die, die da nich’ rauskönn’. Die warten alle. Er hat’s extra für dich aufgemacht, Kumpel.«
Seth versuchte zurückzuweichen, drückte mit aller Kraft gegen das, was wie eine dichte Wand aus Luft hinter ihm Widerstand leistete und ihn nach vorn schob. Er wusste instinktiv, dass etwas Furchtbares geschehen würde, wenn er erst die Türschwelle überschritten hatte. Dann würde er Dinge sehen, die er nicht ertragen konnte und die ihn womöglich schlagartig umbringen würden.
Und dann waren sie mit einem Mal in dem rot schimmernden Flur auf der anderen Seite der Tür, die sich vor ihm überhaupt nicht geöffnet hatte. Sie standen nebeneinander. Er und der Junge, der nach verbranntem Fleisch roch, nach verpufftem Schwarzpulver und versengten Kartons. Der Geruch stieg ihm in die Nase und brannte in seiner Kehle. Er konnte kaum noch atmen, während um ihn herum der Klang der durcheinanderwirbelnden Stimmen näher rückte. Es hörte sich an, als steuerte er einem gigantischen Karussell des nackten Terrors entgegen, und kam von weiter hinten aus dem rötlichen Flur. Als wäre in einem der Zimmer, irgendwo hinter einer dieser schweren Türen, ein Sturm der Gewalt entfacht worden, in den ungeheuer viele Menschen verstrickt waren, die dort umeinanderkreisten, vor- und zurückgeworfen wurden, so lange, bis sie nichts anderes mehr tun konnten, als schreien.
Schon spürte er, was passieren könnte, wenn er die falsche Tür öffnete. Er würde ganz tief nach unten fallen, weit hinab, in rasender Geschwindigkeit, mitten hinein in dieses Geräusch.
Der Junge stand hinter ihm. »Geh weiter, Seth.«
Er schob ihn nach vorn. Seths Beine fühlten sich taub an, seine Füße schienen von Nadeln durchbohrt zu werden. Seine Kiefer waren starr, er bekam kaum noch Luft. Trotzdem ging er den Flur entlang, über die weißen und schwarzen Marmorplatten, in dem
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