Archer, Jeffrey
geheimnisvollen Zyklus. Manchen Generationen wird viel geboten, von anderen Generationen wird viel erwartet, diese Generation von Amerikanern aber hat ein Rendezvous mit der Geschichte.‹«
Wieder brachen alle Anwesenden in donnernden Beifall aus. Als es still wurde, senkte Florentyna ihre Stimme fast zu einem Flüstern: »Freunde und Kollegen, ich sage Ihnen, Zyniker langweilen mich, und ich verachte Spötter.
Ich hasse jene, die es für schick und intellektuell halten, unserer Nation zu schaden, weil ich überzeugt bin, daß diese Jugend, die die Vereinigten Staaten von Amerika in das 21. Jahrhundert führen wird, ebenfalls ein Rendezvous mit der Geschichte hat. Und ich bete, daß viele von ihnen heute hier anwesend sind.«
Als Florentyna sich setzte, war sie die einzige, die saß.
Am folgenden Tag sagten die Journalisten, selbst die Kameramänner hätten applaudiert. Florentyna sah, wie beeindruckt die Menschen waren, aber sie brauchte Richard, um es ihr zu bestätigen. Die Worte Mark Twains fielen ihr ein: »Mit Kummer kann man allein fertig werden, aber um sich aus vollem Herzen freuen zu können, muß man die Freude teilen.«
Als Florentyna das Podium verließ, winkten und jubelten die Studenten, ihre Blicke aber suchten Richard. Als sie sich einen Weg aus dem Hof bahnte, wurde sie von Dutzenden Menschen aufgehalten, ihre Gedanken aber waren anderswo. Sie hörte die Worte: »Wer wird es ihr sagen?« während sie einem Studenten zuhörte, der nach Zimbabwe gehen wollte, um Englisch zu unterrichten. Sie drehte sich um und sah in das verstörte Gesicht von Matina Horner, der Rektorin von Radcliffe.
»Es ist etwas mit Richard, nicht wahr?«
»Ja, leider. Er hatte einen Autounfall.«
»Wo ist er?«
»Im Newton-Wellesley-Hospital, etwa zehn Kilometer von hier. Sie müssen sofort zu ihm.«
»Wie schlimm ist es?«
»Ziemlich schlimm, leider.«
Eine Polizeieskorte fuhr mit Florentyna los, während sie betete: Laß ihn am Leben, bitte laß ihn am Leben.
Kaum hatte der Polizeiwagen vor dem Krankenhaus angehalten, als Florentyna die Treppe hinauflief. Ein Arzt erwartete sie.
»Senatorin Kane, ich bin der Chefchirurg. Wir brauchen Ihre Einwilligung zur Operation.«
»Warum? Warum müssen Sie operieren?«
»Ihr Mann hat schwere Kopfverletzungen erlitten. Es ist unsere einzige Chance, ihn vielleicht zu retten.«
»Darf ich ihn sehen?«
»Ja, natürlich.«
Rasch führte er sie in ein Zimmer, wo Richard bewußtlos unter einem Plastiktuch lag, einen Schlauch im Mund, den Kopf mit blutbefleckter weißer Gaze eingebunden.
Florentyna sank auf den Stuhl neben dem Bett zusammen und starrte zu Boden, unfähig, den Anblick zu ertragen.
Würde ein Gehirnschaden zurückbleiben? Würde er genesen?
»Was ist geschehen?« fragte sie den Chirurgen.
»Die Polizei ist nicht sicher, aber ein Zeuge sagt aus, Ihr Gatte sei aus keinem ersichtlichen Grund über die Kreuzung gefahren und mit einer entgegenkommenden Zugmaschine zusammengestoßen. An seinem Auto scheint alles in Ordnung gewesen zu sein, daher glaubt man, daß er eingeschlafen ist.«
Florentyna zwang sich, den Mann, den sie liebte, anzusehen.
»Können wir operieren, Mrs. Kane?«
»Ja«, sagte eine schwache Stimme, die noch vor einer Stunde Tausende Menschen von den Stühlen gerissen hatte. Florentyna wurde in den Korridor geführt. Dort saß sie dann. Eine Schwester kam. Man brauche ihre Unterschrift. Sie kritzelte ihren Namen. Wie oft hatte sie das heute schon getan?
Sie saß allein in dem Korridor – eine seltsame, gebeugte Gestalt in einem eleganten Kleid auf einem Holzstuhl. Sie erinnerte sich, wie sie Richard bei Bloomingdale’s gesehen und gedacht hatte, er sei an Maisie interessiert; wie sie einander Sekunden nach ihrem ersten Streit geliebt hatten; wie sie geflohen und mit Bellas und Claudes Hilfe ein Paar geworden waren. Die Geburten von William und Annabel. Die Zwanzig-Dollar-Note, die die Zusammenkunft mit Gianni in San Francisco zustande gebracht hatte.
Die Rückkehr nach New York, um die Baron-Gruppe und die Bank zu führen. Wie Richard es ermöglicht hatte, daß sie nach Washington ging; wie glücklich sie war, wenn er für sie Cello spielte; wie er gelacht hatte, wenn sie ihn beim Golf schlug; immer hatte sie so viel für ihn erreichen wollen, immer war seine Liebe zu ihr so selbstlos gewesen. Er mußte leben, damit sie ihn wieder gesund pflegen konnte.
In Zeiten völliger Hilflosigkeit glaubt man plötzlich an Gott. Florentyna kniete
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