Aschebraut (German Edition)
mir am meisten fehlt? Diese riesigen prächtigen Filmpaläste, die es früher gab. Die Revival-Häuser, wo man einen klassischen Film noir oder vielleicht einen der Technicolor-Filme aus den Fünfzigern auf einer großen Leinwand gucken konnte.«
»Ich liebe die frühen Technicolor-Filme.«
»Ich auch. Jetzt kommt ja nur noch dieser ganze computeranimierte Mist. Den Filmen heute fehlt einfach das Herz.«
Kevin riss die Augen auf. »Ja, genau. Sagen Sie, mögen Sie klassisches Fernsehen?«
»Natürlich«, antwortete Brenna. »Aber ich kann es nicht ausstehen, wenn die Leute von klassischem Fernsehen sprechen und damit die Siebziger oder die Achtziger meinen. Sid Caesar. Der hat noch echt klassisches Fernsehen gemacht.«
»Ich habe alle seine Sendungen auf DVD.«
»O mein Gott. Ich auch!«
Sie spürte, dass Maya die Kinnlade herunterfiel und dass sie kurz davor stand, zu erwähnen, dass sie außer den ersten acht Staffeln von 90210 und der Geschichte der Popmusik kaum eine DVD besaß. Deshalb sah sie ihre Tochter kurz durchdringend an.
»Ist was, Schätzchen?«, fragte sie und warf einen vielsagenden Blick auf das in dem Büro hängende Filmplakat.
Auch Maya blickte durch die offene Tür. »Oh …«
»Es ist wirklich schön, wenn man auf einen jungen Menschen trifft, der einen so guten Geschmack in Bezug auf Unterhaltung hat«, stellte Kevin fröhlich fest, und Mayas Kinnlade rutschte noch etwas tiefer, weil jemand von ihrer Mom als jungem Menschen sprach.
»Das ist seltsam«, meinte Brenna. »Dasselbe wollte ich gerade über Sie sagen.«
»Unglaublich«, stieß Maya leise aus.
Kevins Grinsen war so breit, dass es sein Gesicht zweizuteilen schien. »Ich werde Ihnen die junge Frau beschreiben«, erbot er sich. Einfach so. Ohne Brenna auch nur daran zu erinnern, dass er immer noch nicht wusste, wie sie hieß. Denn sie war ein verwandter Geist. Und wenn man einsam genug war, gab es nichts, was man nicht für ein paar Minuten in Gesellschaft eines solchen Menschen tat. Das wusste Brenna, weil sie häufig selbst einsam war.
»Oh, vielen Dank!«
»Kommen Sie in mein Büro«, lud er sie ein. »Ich räume nur noch schnell ein bisschen auf.«
Er ging in den kleinen Raum, und sie folgten ihm.
Im Gehen wandte Brenna sich ihrer Tochter zu, deren Blick mit einem Mal so etwas wie Bewunderung verriet.
Gott, es war einfach erbärmlich, was sie ihrer Tochter für ein Vorbild war.
N
Zwanzig Minuten später zeichnete das Mädchen eifrig die Person, die Kevin ihr beschrieb. »Mach die Lippen etwas voller. Super … gut, und der Hals war etwas länger. Vielleicht könntest du noch einen Schatten unter das Kinn malen?«
Brenna brachte es nicht über sich, auf Mayas Blatt zu sehen, und am liebsten hätte sie noch nicht mal hingehört. Denn plötzlich wurde ihr bewusst, dass Clea, ihre Clea, heutzutage fünfundvierzig wäre. Kein lächelnder Teenager auf einem Klassenfoto und auch kein verspieltes zehnjähriges Mädchen, das den Lenker eines Kinderfahrrads umklammert hielt. Eine Frau von fünfundvierzig Jahren, die die Gabe der Zerstörung hatte. Ihre Schwester. Ihre lebende, erwachsene Schwester. Wie würde sie jetzt wohl aussehen?
Mayas Stift flog über das Papier, und während eines Augenblicks war nichts zu hören als das Kratzen ihrer Mine auf dem Blatt … Clea als Fünfundvierzigjährige …
»Wie ist das hier?« Maya drehte ihren Block zu Kevin um.
»Die Ähnlichkeit ist geradezu verblüffend.«
Brenna hielt den Atem an, als jetzt auch sie das Bild gezeigt bekam.
Dann riss sie die Augen auf.
Weil die Skizze nicht Clea zeigte. Weil sie keine Frau von fünfundvierzig Jahren zeigte. Dafür aber eine ihr bekannte junge Frau. »Diandra«, stieß sie aus, und Kevin fragte: »Was?«
Sie rieb sich die Augen. »Tut mir leid. Es war ein langer Tag.«
»Sie sind eine unglaublich talentierte junge Dame«, gratulierte Kevin Maya. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mir das Bild kopiere? Der Kopierer steht da vorn.«
»Ja … okay.« Maya schien ausnehmend stolz auf sich zu sein, und lächelnd kämpfte Brenna gegen eine unbestimmte Furcht. Dann hatte Diandra also Sex mit ihrem Boss gehabt. Aber das war schließlich kein Verbrechen. Und er könnte Stunden nachdem sie verschwunden war, gestorben sein.
»Ich muss kurz telefonieren«, erklärte Brenna.
Maya blickte sie verwundert an. »Okay …«
»Maya. Du heißt doch Maya, richtig?«, sagte Kevin.
»Ja.«
»Also gut, hör zu. Ich habe da diese
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