Aschebraut (German Edition)
Telefonanruf bei meiner Frau bezweckt?
Jill war weg und seine Töchter auch. Sein bisheriges Leben war vorbei. Ob er Jill wohl jemals davon würde überzeugen können, dass ihm das mit DeeDee nie etwas bedeutet hatte? Dass das zwischen ihnen nur ein dummer, einmaliger Fehltritt seinerseits gewesen war? Ach könnte ich ihn doch nur finden, könnte ich den Schatten doch nur finden, dann würde alles wieder gut.
Aber glaubte er das wirklich?
Nun, er musste es ganz einfach glauben. Denn wenn er tatsächlich dachte, dass er alles so einfach verlieren könnte – und zwar ein für alle Mal –, weshalb hatte er es dann wohl überhaupt jemals versucht? Weshalb hatte er so hart gearbeitet, um sich ein Leben, eine Karriere und eine Familie aufzubauen, wenn ein starker Windstoß reichte, um das alles zu zerstören?
Allerdings hatten in letzter Zeit zahlreiche starke Windstöße ihm ins Gesicht geweht. RJ Tannenbaum, Shane Smith und Errol Ludlow. Lauter Namen, die er unbedingt vergessen wollte. Und dann auch noch DeeDee. Dieses arme, fehlgeleitete, zerstörerische Kind …
Mit einem leisen Klingelton sprangen die »Bitte-anschnallen«-Lichter an, und ihm ging der letzte Name durch den Kopf. Der Name, den er nie laut auszusprechen wagte. Der Name des Schattens. Der nicht nur ein Windstoß, sondern eher eine Orkanbö war.
»Verehrte Fluggäste«, verkündete die Stewardess. »Wir beginnen jetzt mit dem Landeanflug auf den Flughafen La Guardia …«
Gary hatte stundenlang telefonieren müssen, um im letzten Augenblick ein noch erschwingliches Flugticket zu bekommen, und danach allen Klienten, die während der nächsten Tage hätten zu ihm kommen sollen, abgesagt. Ein privater Notfall, hatte er gesagt, er könnte es leider nicht ändern, aber keine Angst – er wäre bald zurück.
Wenn er all das innerhalb von ein paar Stunden hinbekommen hatte, könnte er doch sicher diese Sache ebenfalls noch einmal geradebiegen, oder nicht? Ich kann es, dachte er, und ich werde es auch tun.
Einen Moment später landete das Flugzeug in seiner Geburts- und Heimatstadt New York.
N
Als sie aus dem Flugzeug stiegen, fiel dem kleinen Mädchen vor ihm seine Puppe auf das asphaltierte Rollfeld. Gary joggte los, hob sie vom Boden auf, rannte dem kleinen Mädchen hinterher und drückte sie ihm, während sie den Terminal erreichten, in die Hand.
»Was sind Sie für ein netter Mensch«, bedankte sich die Mutter. Ihre leuchtend blauen Augen erinnerten ihn an die Augen seiner Frau.
»Danke«, sagte Gary, denn in seinem tiefsten Innern war er tatsächlich ein netter Mensch.
Ein netter Mensch, dem einfach ein paar Fehler unterlaufen waren.
Als die anderen Passagiere loseilten, um ihr Gepäck zu holen oder gleich in irgendwelche Taxis einzusteigen, blieb er stehen und sah sich um. Direkt neben dem Flugsteig gab es eine Bar. Ein Segen, dass die Bars in Flughäfen rund um die Uhr geöffnet waren.
Denn hier in New York war es erst 10 Uhr 30, aber wer konnte schon sagen, wann jemand aus Singapur hier ankam. Gary musste lächeln.
Jimmy Buffet hatte völlig recht. Irgendwo war immer 17 Uhr. Er betrat die Bar, bestellte sich zum ersten Mal seit drei Jahren einen doppelten Scotch mit Eis.
Und setzte das auf diese Art begonnene Besäufnis systematisch fort.
N
Brenna stand vor ihrem Toaster, wartete auf ihre Bagels und erinnerte sich daran, wie sie zwei Tage zuvor mit Nick vor dem Columbia Presbyterian gestanden hatte, als erneut ein Telefonanruf von Gary Freeman bei ihr eingegangen war. Abermals von einem neuen Prepaid-Handy, dessen Nummer allerdings auf dem Display zu sehen gewesen war. Dann griff sie nach dem Telefon in ihrer Küche und gab diese Nummer ein. Das hatte sie bereits seit Stunden vorgehabt, aber über einen Anruf mitten in der Nacht hätte sich Gary sicher nicht gefreut, auch wenn die Nachricht wirklich wichtig war.
Trotzdem konnte sie es kaum erwarten, ihm von der Entdeckung zu berichten – und vor allem war sie auf seine Reaktion gespannt. Denn als sie bei ihrem letzten Telefongespräch gefragt hatte, ob der Name Robin Tannenbaum oder RJ ihm etwas sagte, hatte er lange geschwiegen und dann »Nein. Warum?« gesagt, als hätte er den Namen, den er selbst in dem Polizeibericht genannt hatte, bei dem Gespräch zum ersten Mal gehört.
Sicher, vielleicht hatte Gary ihn auch einfach nur vergessen. Aber bitte, wer vergaß denn wohl den Namen eines Filmstudenten, der erst drei Jahre zuvor bei ihm zu Hause eingebrochen war?
Sie
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