Assungas Liebesnest
doch?«
»Nein, gesehen haben wir sie nicht.«
»Oh Gott, da ist etwas passiert!« Die Frau schlug ihre Hand gegen die Lippen. »Ich weiß es. Ich fühle es. Die verdammten Fledermäuse sind nicht grundlos verschwunden. Sie müssen Jenny gepackt haben. Sie müssen sie mitgenommen haben und...«
»Moment!« rief Peter. »Warte hier!« Er eilte aus dem Zimmer und kümmerte sich nicht darum, daß Mona ihm noch etwas nachrief. Wir hörten seine Schritte, als er die Stufen der Treppe nach oben hin lief.
Mona Blake zitterte. »Lieber Gott, bitte, bitte – laß es nicht geschehen sein. Bitte nicht.« Sie erinnerte uns an ein kleines Kind und hatte die Augen geschlossen und die Hände gefaltet.
Wir hörten auch die Stimme des Försters, der nach seiner Tochter rief. Eine Antwort erhielt er nicht. Jenny Blake war nicht da.
Der Förster kehrte zurück. Er ging mit schwerfälligen Schritten und stützte sich schließlich an der Wand ab, den Blick ins Leere gerichtet.
Mona lief zu ihrem Mann. »Sag was, Peter, bitte, du mußt etwas sagen! Hast du sie gefunden?«
»Nein«, gab er zu und schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nicht gefunden. Sie ist nicht da, verstehst du, Mona? Nicht da. Und ich weiß auch nicht, wo ich noch suchen soll, verdammt!«
»Draußen?«
Blake schaute uns an. Wir konnten ihm nicht helfen. Wir vermuteten, daß man Mona geholt hatte und sie jetzt vielleicht als Faustpfand oder Geisel einsetzte.
Peter kam auf uns zu. »Kann es sein, daß sie weggelaufen ist? Was meinen Sie?«
»Es kann sein.«
»Aber Sie glauben nicht daran, Mr. Sinclair?« Er schaute mir dabei ins Gesicht.
»So ist es.«
Der Förster schloß für einen Moment die Augen. Seine Frau stand hinter ihm, hielt den Kopf gesenkt und hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt. »Wenn sie nicht weggelaufen ist, dann muß man sie geholt haben – oder?«
»Davon kann man ausgehen.«
Seine Augen weiteten sich. »Geholt«, flüsterte er. »Wer kann sie geholt haben?«
Ich hob die Schultern.
»Die Fledermäuse?«
»Nein, das bezweifle ich.«
»Wer dann, zum Teufel?«
Wir hätten unsere Vermutung sagen können, doch wir hielten uns zurück. Auch wegen seiner Frau, die nicht noch mehr beunruhigt werden sollte. Mona stand kurz vor dem Durchdrehen. Sie lief im Zimmer auf und ab, flüsterte Jennys Namen, schaute immer wieder in irgendwelche Ecken, ohne auch nur eine Spur von ihrer Tochter zu finden.
»Werden Sie etwas tun, Mr. Sinclair?« fragte Blake.
»Ja«, erwiderte ich.
»Und was?«
Ich hatte nicht vor, ihm unsere Pläne offenzulegen. Deshalb fragte ich: »Wir kennen uns zwar nicht lange, aber Sie wissen, wer wir sind. Vertrauen Sie uns?«
»Was soll ich denn sonst tun?«
»Wir werden Ihre Tochter suchen.«
»Und wo?« rief er. »Wo wollen Sie Jenny suchen? Etwa im Wald?«
»Nein.«
Er erkannte, daß er von mir keine genaue Auskunft bekommen würde. Deshalb wandte er sich von mir ab und ging zu seiner Frau, um ihr mit der Hand über den Kopf zu streicheln. Beruhigend sprach er auf sie ein, und wir sahen, daß Mona Blake hin und wieder nickte. Sie weinte jetzt.
Für uns hatte es keinen Sinn, uns noch länger hier im Haus aufzuhalten. Wir mußten zum verdammten Haus fahren, das auch Ruine genannt wurde.
»Assunga’s Liebesnest«, flüsterte ich, so daß nur Suko mich hören konnte.
»Meinst du, daß sie dahintersteckt?«
»Ja, das nehme ich an.«
Er sagte nichts und verließ vor mir das Zimmer. Ich blickte noch einmal zurück.
Mona Blake weinte immer noch. Sie starrte ins Leere, und auch ihr Mann sagte nichts. So konnten wir unbemerkt das Haus verlassen und in den Rover steigen.
Das Haus würden wir finden und hoffentlich auch Jenny Blake...
***
Das junge Mädchen wußte nicht, was ihm geschehen war. Alles war so schnell gegangen. Plötzlich war es um sie herum stockfinster geworden, und dann hatte sich alles aufgehoben, an das sie bisher geglaubt hatte.
War sie geflogen? Bewußtlos geworden? Hatte sich die Welt für sie aufgelöst?
Jenny fand keine Antwort darauf. Die andere Seite war einfach zu schnell und zu stark gewesen. Eine Kraft, die sie gerissen und gleichzeitig gedreht hatte, war über sie gekommen, und dann war alles so verdammt schnell gegangen.
Und jetzt?
Jetzt war sie wieder da. Aber sie war auch irgendwo in einer fremden Umgebung, und sie fühlte sich nicht gut. Obwohl Jenny mit beiden Füßen auf dem Boden stand, kam es ihr vor, als würde sie darüber hinweg schweben. Sie schwankte, sie mußte
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