Auf Befehl des Königs
auf den Boden stellte, kam ihr ins Gedächtnis zurück, was in der vergangenen Nacht zwischen Orrick und ihr geschehen war.
"Mylady! Wie fühlt Ihr Euch heute?" Heiter und liebenswürdig wie immer, trat Edmee ein und brachte ihr einen Becher Bier. "Der Lord hat Anweisung gegeben, Euch nicht zu stören, bis Ihr nach mir ruft." Die Dienerin half ihr aus dem Bett, legte ihr den Hausmantel um die Schultern, geleitete sie zum Frisiertisch und begann sie zu kämmen. "Wenn Ihr hungrig seid, lasse ich Euch Essen bringen."
Marguerite musste kein Wort sagen, da Edmee das Gespräch alleine meisterte. Mit dem Beistand ihrer Zofe war sie bald gewaschen und angekleidet, ihr Haar geflochten und mit einem Schleier bedeckt. Sie hatte keinen Appetit, ließ das Essen stehen und leerte lediglich den bereitgestellten Pokal.
"Lady Constance bittet Euch, ihr im Söller Gesellschaft zu leisten, falls Ihr Euch wohl genug fühlt. Ihre Damen sticken an einem neuen Wandbehang für die Halle. Sie meinte, Ihr könntet ihr zur Hand gehen, wenn Ihr Lust dazu verspürt."
"Wo ist Lord Orrick?" Aus dem Nebengemach drangen keine Geräusche. Um diese Tageszeit würde er sich auch wohl kaum dort aufhalten.
"Der Herr hat zu tun. Aber wenn Ihr ihn benötigt, kann ich ihn rufen lassen."
"Nein, ich möchte ihn nicht bei der Arbeit stören."
Marguerite dachte an den Abend zuvor. Gegen Ende des Nachtmahls hatten sich die Vorboten der Regelblutung bemerkbar gemacht. Schmerzen und Übelkeit hatten sich verstärkt, aber sie war darauf bedacht gewesen, sich nichts anmerken zu lassen, bis Orrick die Tafel aufhob.
Zu allem Überfluss hatte der Schotte ihn um ein Gespräch gebeten und sie mit einem Seitenblick wissen lassen, dass er ihr Geheimnis verraten würde. Wie hätte Orrick reagiert, wenn ihm die Wahrheit von einem Dritten hinterbracht worden wäre? Er hatte sie nicht geschlagen, womit sie gerechnet hatte, als sie allein mit ihm gewesen war.
Dieser Mann war ihr ein Rätsel. Sie hatte ihn gekränkt und zurückgewiesen, er jedoch war ihr lediglich aus dem Weg gegangen. Ihn und seine Leute hatte sie belogen, und er hatte sie nicht dafür gezüchtigt.
Wer war er nur?
Orrick konnte man nicht mit ihrem Vater vergleichen, der ihren Widerstand und Eigensinn mit strengen Strafen und Prügeln gebrochen hatte. Er war auch nicht mit Henry gleichzusetzen, der zu Jähzorn neigte und selbst seine treuesten Untertanen beim geringsten Verstoß mit Verbannung oder Kerker bestrafte.
Auf dem Weg zu ihrer Schwiegermutter wurde ihr klar, dass Orrick seine eigene Form der Bestrafung hatte – sein mitleidiger Blick, als er ihr schlechte Menschenkenntnis vorgeworfen hatte, war ihr bis ins Innerste ihrer Seele gedrungen. Die Schläge, mit denen sie gerechnet hatte, wären leichter zu ertragen gewesen als sein melancholischer Gesichtsausdruck, mit dem er ihr eröffnet hatte, dass er sie ohne ihre Einwilligung niemals angefasst hätte.
Ihre Bemühungen, ihn durch ihre abweisende Haltung in Schach zu halten, waren vergeblich gewesen. Sie hatte verloren. Statt Henry und ihren Liebesschwüren treu zu bleiben, hatte sie Orrick mit anderen Adeligen bei Hofe verglichen, sein Verlangen falsch eingeschätzt und sich ihm hingegeben, was gar nicht nötig gewesen wäre.
Vor dem Söllergemach angekommen, öffnete ihr ein Diener die Tür. Der große Raum wurde von Sonnenlicht, das durch zwei hohe Fenster einfiel, erhellt. Mehrere Damen saßen an Webstühlen, einige arbeiteten an großen Stickrahmen, wieder andere hielten kleinere Stoffteile auf dem Schoß. Lady Constance rief ihr eine Begrüßung zu und wies auf einen leeren Stuhl.
Marguerite setzte sich und bewunderte die kunstfertige Arbeit der Frauen. Ein farbenprächtiger Gobelin war im Entstehen mit der fantasievollen Darstellung einer Landschaft und verschiedenen Jagdszenen, der bald einen prachtvollen Wandschmuck für die Halle abgeben würde. Marguerite war recht geschickt im Umgang mit Nadel und Faden und würde sich nicht blamieren. Eine der Damen gab ihr Stickzeug. Sie begann an einem Teilstück zu arbeiten und orientierte sich an der Zeichnung des Entwurfs, der an einem Rahmen aufgezogen war.
Die halblaut geführten Unterhaltungen, das rhythmische Klappern der Weberschiffchen bildeten einen einschläfernden Geräuschteppich. Bald bemerkte Marguerite eine junge Mutter in einer Ecke, die ihren Säugling stillte. Sie hielt den Hinterkopf des Babys sanft umfangen, das schmatzend an ihrer Brust saugte, während sie ihm ein
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