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Auf ewig und einen Tag - Roman

Titel: Auf ewig und einen Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Joy Arnold Angelika Felenda
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immer dieses Quadrat seinen Anfang nahm, spielte jetzt keine Rolle mehr. Jetzt zählte nur noch, dass wir Eves Platz frei hielten, nachdem sie gegangen war.
    Deshalb konnte ich nicht bleiben.
    Justin hatte Eve gewählt, und ihren Platz konnte ich nicht einnehmen.

36
    »Du meinst, du isst Fliegen?«, fragte Gillian das achtarmige Mädchen in dem schwarzen Trikot.
    »Sicher«, antwortete das Mädchen. »Fliegen, Käfer, Grashüpfer, Motten, Schmetterlinge, schmackhafte Küchenschaben, Stechmücken, Kriebelmücken, Zitterspinnen, Tausendfüßler, Moskitos, Zikaden. Alles, was unachtsam genug ist, sich in meinem Netz zu verfangen.«
    Wir sahen zu, Justin zu meiner Linken, Eve neben ihm, und lachten herzlich über alles, selbst über Sätze, die dem Rest des Publikums allenfalls ein Schmunzeln entlockten. Sie hatte für die Vorstellung den Katheter herausgenommen, doch obwohl ihr Gesicht rot angelaufen war, als Justin sie vom Rollstuhl durch die Sitzreihen führte, sah man ihr jetzt die Schmerzen nicht an, die sie haben musste.
    Gillian auf der Bühne strahlte. Eine Stunde zuvor hatte sie ihr rosafarbenes Gesicht im Spiegel betrachtet und eine Grimasse gezogen. »Ich sehe aus wie ein Hotdog.«
    »Das ist nur, weil ich den Bart noch nicht aufgemalt habe«, erklärte ich und zog ein paar schwarze Linien über die pinkfarbenen Tupfen auf ihren Wangen.
    Als ich fertig war, sahen wir ihr Spiegelbild an. »Haben Schweine überhaupt Bärte?«, fragte Gillian.
    »Ich glaube nicht.«
    »Haben wir noch Zeit, ihn abzuwaschen?«

    Am anderen Ende des Klassenzimmers klatschte eine Lehrerin in die Hände. »Ich brauche Fern, Avery, die Arables und alle Schweinchen.«
    »Wahrscheinlich nicht«, antwortete ich.
    Gillian verzog das Gesicht. »In meinem ganzen Leben wurde ich noch nicht so gedemütigt.«
    Doch sobald sie auf der Bühne war, veränderte sich ihr ganzes Verhalten. Sie war Wilbur, das Schwein, bescheiden, unbefangen, lebendig.
    »Schau nur«, flüsterte Eve Justin zu. »Sie hat einen Busen.«
    Es stimmte. In Gillians rosafarbenem Trikot konnte man ihre Brüste sehen, die die Größe von Golfbällen hatten. Ich begann zu schmunzeln, aber dann sah ich, wie sich Eve und Justin stolz angrinsten wie Eltern, die den ersten Zahn ihres Kindes entdecken.
    Ich lächelte breit, um nicht zu weinen, obwohl ich nicht ganz sicher war, was mir die Tränen in die Augen trieb: die kleinen Kinder, so ernst in ihren Tierkostümen, Gillians Brüste, ihr Glück, oder wir drei. Alles zusammen. Genau wie Eve hatte ich gleichzeitig das Bedürfnis, über jeden einzelnen Satz zu weinen und zu lachen. Es war wunderschön, aber irgendwie fühlte es sich auch wie ein Ende an.
    In der Pause blieben wir einen Moment regungslos sitzen und starrten auf den geschlossenen Vorhang. »Wow«, sagte Justin schließlich.
    »Sie sind unglaublich«, sagte Eve. »All die Kinder, sie sind so gegenwärtig, so sehr von dieser Welt.«
    »Sie wissen noch nicht mal, wann sie witzig sind«, sagte ich. »Das ist es, was alles so wahnsinnig komisch macht, sie sprechen ihren Text, als sei es die ernsteste, wichtigste Sache auf der Welt.«

    Eve lächelte sanft. »Es ist die wichtigste Sache. Ich wünschte, ich hätte das vor einem Monat, vor einem Jahr gesehen. Gesehen, wie das Leben weitergeht.«
    »Jahr für Jahr«, sagte Justin, »ist es immer das Gleiche. Erinnerst du dich an unsere Schulaufführungen? In der sechsten Klasse spielte ich den Marcus Antonius in Julius Caesar. Es war die Meisterleistung meines Lebens, vermutlich bis heute.«
    »Waren wir so?«, fragte Eve. »Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals so gefühlt zu haben, als zählte meine Existenz, als kümmerte es jemanden, was ich mit meinem Leben mache.«
    »Ich war mir sicher, dass sie zählte«, sagte Justin. »Ich denke, das glaube ich irgendwie immer noch.« Er lachte kurz höhnisch auf. »Gott, hört sich das eingebildet an.«
    »Nicht eingebildet - es ist die Wahrheit«, erwiderte ich. »Aber ich glaube, ich hab mich auch nie so gefühlt. Vielleicht hatte es damit zu tun, ein Zwilling zu sein, das Gefühl zu haben, ersetzbar zu sein.«
    Eve warf mir schnell einen Blick zu, dann sah sie wieder auf die Bühne. »Du warst nicht ersetzbar.«
    Ich lächelte sie an. »Du auch nicht«, antwortete ich.
    Sobald sich der Vorhang zum zweiten Akt öffnete, war ich verloren. Ich ließ mich fallen und hielt einen Finger an die Augen, um die Tränen aufzufangen, bevor sie herunterfielen, bis ich Eve bemerkte, deren

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