Augenblicklich ewig
eine weitere Chance auf ein glückliches Leben geschenkt. Ob es Pollys Erinnerungen waren oder ob es Sam war, der sich erinnerte, spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass sie sich wiederfanden. In jedem Leben. Denn es war ihre Bestimmung, einander zu lieben, weil sie nur miteinander glücklich werden konnten, das war ihr inzwischen klar. Sie konnte um die halbe Welt vor ihm fliehen, ihre Liebe nahm sie jedoch mit, egal wie weit sie rannte. Sie liebte Sam, und wenn sie Glück hatte, liebte auch er sie noch, obwohl sie ihn verlassen hatte.
Bis ich dich wiederfinde. Pollys Blick blieb erneut an der Inschrift hängen. Sie musste fest davon überzeugt gewesen sein, dass sie es sein würde, die Sam im nächsten Leben suchen würde und nicht umgekehrt. Wahrscheinlich war sie nicht einmal auf die Idee gekommen, es könnte Sam sein. Was hatte sich geändert? Sam ist gestorben, schoss es ihr durch den Kopf. Das war es. Des Rätsels Lösung war die ganze Zeit direkt vor ihrer Nase gewesen. Sam war gestorben, bei einem Autounfall auf der Straße nach San Francisco.
Ein letztes Mal strich sie mit den Fingerspitzen über den alten Stein, dann stand sie auf und verließ so zügig, wie der Anstand es zuließ, den Friedhof. Zunächst rief sie ein Taxi, das sie zum Hotel bringen sollte. Als Nächstes wählte sie die Nummer des Flughafens, um einen Rückflug zu buchen. Sie musste sich beeilen, um den Flug, den sie für den gleichen Tag bekam, rechtzeitig zu erreichen. Sie hatte lediglich Zeit, ihre Tasche aus dem Hotel zu holen und auszuchecken , bevor sie zum Flughafen musste. Das Taxi ließ sie vor dem Hotel warten, aus Angst, ein neuer Wagen könnte nicht schnell genug eintreffen. Die Extrakosten nahm sie gelassen hin, obwohl ihr Budget spätestens seit ihrem Aufbruch nach L.A. überzogen war.
Ihre Strecke würde sie über München nach Frankfurt führen. Einen Direktflug gab es nicht. Sie musste den Umweg über München in Kauf nehmen, würde dafür aber bereits nachts zu Hause sein. Allein der Gedanke, schon sobald wieder in Sams Nähe zu sein, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hatten viel zu besprechen und noch mehr zu erklären, aber Polly brannte darauf, Sam von ihrer Erkenntnis zu berichten. Endlich war sie nicht mehr nur diejenige, die glauben musste. Sie war Teil der Geschichte, hatte einen wichtigen Punkt dazu beizutragen.
Ihr Flug startete am Abend, und eigentlich hätte Polly die Chance nutzen sollen, um Schlaf nachzuholen, damit sie ausgeruht in Deutschland landete. Stattdessen drehten sich ihre Gedanken die ganze Zeit um das, was sie Sam sagen wollte. Sie fragte sich, ob er ihr verzeihen würde. Er musste es einfach tun. Er hatte versprochen, nicht aufzugeben. Zur Bestätigung las sie seinen Brief unzählige Male, faltete ihn wieder zusammen, steckte ihn in ihre Tasche, nur um ihn eine Stunde später erneut herauszusuchen und zu lesen. Auch die Bilder, die Sam ihr geschickt hatte und diejenigen, die sie selbst mit ihrem Smartphone gemacht hatte, ging sie immer wieder durch. Sie hatte – auch wenn es ein merkwürdiges Gefühl gewesen war – sogar die Grabsteine fotografiert, für den Fall, dass Sam sie sehen wollte. Was sie aber eigentlich um den Schlaf brachte, war die Frage, wie sie sich bei ihm entschuldigen, ihm erklären sollte, warum sie ihn verlassen hatte und wie sich nun alles zusammenfügte.
Nach der Hälfte der Flugzeit fiel sie endlich in einen erstaunlich festen Schlaf und wurde erst durch die Ansage des Kapitäns, das Flugzeug befinde sich im Landeanflug auf München, wieder wach. Sie war aufgeregt, auch wenn es noch ewig dauern würde, bis sie Sam wiedersah. Immerhin war sie wieder im gleichen Land wie er, sie war zu Hause. Vier weitere Stunden später landete sie in Frankfurt und benötigte anschließend noch einmal zwei Stunden, bis ihr Zug in Köln hielt. Kurz überlegte sie, direkt zu Sam zu fahren, kehrte jedoch zunächst in ihre Wohnung zurück, um zu duschen und sich umzuziehen. Es war ein heißer Tag gewesen und auch jetzt, nach Mitternacht, noch angenehm warm. Polly zog ein weißes Sommerkleid und ihre liebsten Sandalen an. Sie zögerte. Konnte sie um diese Uhrzeit, nach allem, was gewesen war, bei Sam vor der Tür auftauchen? Sollte sie ihn anrufen? Nein, ihr erstes Gespräch nach so langer Zeit durfte nicht am Telefon stattfinden. Entschlossen machte sie sich auf den Weg zu Sams Wohnung. Dieses Treffen und erst recht das Schicksal duldeten keinen Aufschub. Eine weitere Nacht mit
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