Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausersehen

Ausersehen

Titel: Ausersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. C. Cast
Vom Netzwerk:
sie schaute mich an, als wäre ich verrückt, und erwiderte, dass das unmöglich sei. Träume taten, was sie wollten. Bis dahin war es mir nie in den Sinn gekommen, dass nicht jeder seine Träume kontrollieren konnte. Wenn meine Träume anfingen, unbequem oder Angst einflößend zu werden, veränderte ich sie einfach. In fünfunddreißig Jahren hatte ich noch nie einen Traum, der mir nicht gehorcht hat. Meine Freundinnen finden das cool, meine bisherigen Freunde dachten, ich würde mir das ausdenken, aber meine Träume haben immer unter meiner Kontrolle gestanden.
    Bis heute Nacht.
    Über der Burg schwebend, wurde meine Verwirrung durch die steigende Frustration noch verstärkt. Ich würde es nicht gerade als wirklich „schlimmen“ Traum bezeichnen; er war eher … nervig. Und ich wollte wirklich, dass er aufhörte.
    Dann änderte sich alles. Furcht umfing mich. So etwas hatte ich noch nie zuvor verspürt. Es war schlimmer als mein Autounfall. Schlimmer als meine Schlangenphobie. Es war die nackte Angst, die mit der Gewissheit kommt, sich in Gegenwart des reinen Bösen aufzuhalten. Lebendiges Böses, wie das, was Pädophile oder Vergewaltiger oder Terroristen inspiriert.
    Ich versuchte, nicht in Panik zu geraten, atmete tief ein und aus und erinnerte mich daran, dass das hier nur ein Traum war … nur ein Traum … nur ein Traum. Das Gefühl blieb. Ich schaute unter mich und betrachtete die Burg genauer, suchte nach einem Hinweis auf etwas, das dieses fürchterliche Gefühl auslöste. Das Gebäude sah verschlafen und unschuldig aus. In einem Zimmer in der Nähe des offen stehenden Tores konnte ich zwei Uniformierte sehen, vermutlich Wachmänner oder Nachtwächter. Sie saßen an einem Holztisch und spielten eine Art Würfelspiel. Keine Bösartigkeit da; nachlässige Bedienstete vielleicht, aber nichts offenkundig Böses. Einige andere Räume der Burg waren erleuchtet, und ab und zu erhaschte ich einen Blick auf sich vor den Fenstern bewegende Menschen. Niemand schien irgendwelche Verbrechen zu begehen, keine Vergewaltigungen oder Plünderungen. Auf der Seite der Burg, die dem Meer zugewandt war, konnte ich einen Mann auf einer Beobachtungsplattform sehen, aber auch er zerstückelte keine Kleinkinder oder vergewaltigte Großmütter; er schaute einfach nur. Auch hier nichts Böses.
    Es war aber da. Ich konnte es fühlen. Ich konnte es beinahe berühren und riechen. Es war, als würde man mit seinem Auto ein bereits seit mehreren Tagen tot auf der Straße liegendes Tier überfahren. Der Geruch scheint sich an den Reifen festzusaugen und steckt einem noch Stunden später in der Nase.
    Ich wandte mich langsam um und setzte meine Suche fort. Ich schaute über den Wald und …
    Das war es. Keine Frage. Da war das Böse, es kam aus dem Wald. Es strömte aus der nördlichen Ecke, dem Teil, der in die entfernten Berge überging. Es war so stark, dass ich Schwierigkeiten hatte, meine Augen auf diese Gegend gerichtet zu halten. Mein Blick verschwamm immer wieder, als würde ich versuchen, mich auf eines dieser 3-D-Bilder zu konzentrieren, das versteckte Bild aber nicht richtig erkennen können.
    Erst als ich meinen Blick ziellos über die Bäume schweifen ließ, sah ich es. Ein Zittern in der Dunkelheit der von Nacht überschatteten Bäume. Blinzelnd fokussierte ich meinen Blick auf oberhalb der Baumwipfel und sah es wieder: Der Wald zitterte. Es war wie Tinte, die über eine leere Seite fließt – kriechende Schatten, ölig und dick. Eine Masse von irgendetwas schob sich durch die Bäume, vereint in Absicht und Verhalten. Flink und leise bewegte sie sich vorwärts.
    Ich keuchte, als es mir bewusst wurde: Ihr Ziel war offensichtlich – sie strebte auf die schlafende Burg zu.

5. KAPITEL
    Ich konnte nichts tun, um zu helfen. Ich versuchte, die Wachen, die beim Würfelspiel saßen, anzuschreien, aber meine geisterhafte Stimme wurde vom Wind davongetragen. Mein Körper wollte immer noch nicht auf die Erde sinken, und für einen Moment war ich beschämend dankbar dafür, denn die Vorstellung, in der Burg zu sein, während dieses dunkle Etwas näher und näher kam, machte mir Angst. Ich konnte einfach nicht aufwachen. Bei einem Blick zurück auf die nördliche Baumlinie bemerkte ich erschrocken, wie schnell die bedrohliche Dunkelheit vorwärtskam. Je näher sie rückte, desto stärker spürte ich das von ihr ausstrahlende Böse. Wie konnte irgendjemand in der Burg schlafen oder Karten spielen? Wie konnten sie es nicht auch

Weitere Kostenlose Bücher