Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
hatte und es jetzt zu spät war, sie zu holen.
Die Schritte kamen näher. Markus erstarrte, versuchte, sich durch reine Willenskraft unsichtbar zu machen …
Die Tür wurde aufgerissen. Es war natürlich Abigail, wer auch sonst?
»Hi, Abi«, sagte Markus und versuchte ein Lächeln. »Das sieht alles schlimmer aus als es –«
Sie hörte ihm überhaupt nicht zu. Sie sah ihn nur mit immer größer werdenden Augen an, dann drehte sie sich um und rannte schreiend davon. » Hier! Er ist hier! «
Es klang, als habe er mit gezücktem Messer auf sie gewartet.
Markus ließ alles fallen, rannte ihr nach, aber zu spät.
Sie sprangen grob mit ihm um. Sie packten ihn, an Armen, Beinen, an den Haaren, am Hals, und jemand schrie etwas von den Vorräten, an denen er sich vergriffen habe. Das schien auf einmal schlimmer zu sein als die Vergewaltigung, wegen der sie nach ihm gesucht hatten, schien den Zorn der Männer regelrecht hochkochen zu lassen. Sie schraubten ihm die Arme rücksichtslos auf den Rücken, dass die Gelenke krachten, schlangen einen groben Strick um seine Handgelenke und zogen schmerzhaft zu. Und mit den Beinen dasselbe. So schleppten sie ihn davon, über schlammige Straßen voller Pfützen und Dreck, bis zum Platz vor der Kirche. Markus begriff jäh, wozu der Pfahl gedacht war, der dort aufgerichtet stand. Seit er das erste Mal ins Dorf gekommen war, hatte er sich das gefragt, und nun …
»Holt den Reverend!«, schrie jemand, während sie ihn daran festbanden, zerschunden und dreckig, wie er war, und ein anderer: »Macht ihm den Prozess!«
»Ach was, Prozess – macht ihn alle!«
»Hängt ihn auf!«
»Nicht lang reden!«
Sie schrien ihn an, schlugen ihn, die Männer und auch die Frauen, waren außer sich vor Wut, hassten ihn, hatten Angst. Und Angst, ja, die hatte er auch, die hatte ihn voll im Griff; seine Lunge pumpte, sein Herz raste, und es gab nichts, was er dagegen machen konnte.
»Wo bleibt der Reverend?«, hörte er aus dem Geschrei, aus dem Hexenkessel um sich heraus.
»Hab ihm Bescheid gesagt, er kommt gleich …«
»Macht nicht lang rum! Hängt ihn auf!«
Und Schläge. Und Tritte. Und Spucke ins Gesicht. War an die Vorräte gegangen. Ein Mädchen schwängern, das wäre ja noch gegangen, sie vergewaltigen, so was kam vor, aber sich an den Vorräten zu vergreifen …
Mann! Wäre er doch bloß einfach in den Wald gegangen. Kein Bär wäre so schlimm gewesen wie das hier …
Und dann, wie aus dem Nichts und alles übertönend, eine Stimme, die er kannte. » Halt! «
Es war Taggard.
Sie wichen zögernd beiseite, ließen ihn näher treten. Etwas lief Markus ins Auge, Spucke vielleicht oder Blut, aber er spürte, dass er lächelte. Er suchte den Blick seines Beschützers und lächelte.
Taggard erwiderte das Lächeln nicht, sah ihn nur ernst an. »Er hat das Recht auf einen fairen Prozess«, rief er dann in die Runde. »Er hat das Recht, gehört zu werden. Er hat das Recht –«
»Hey, Taggard!«, schrie jemand. »Spiel dich nicht so auf!«
»Genau. Du hast hier nichts zu sagen.«
Taggard sah umher, versuchte die Sprecher auszumachen. »Es spielt keine Rolle, ob ich etwas zu sagen habe oder nicht«, erwiderte er. »Wir sind immer noch in Amerika. Hier gelten Recht und Gesetz –«
»Der Kerl hat geklaut! Und die Kleine vom Reverend hat er auch genagelt! Was sollen wir mit so einem?«
»Das ist nicht bewiesen«, rief Taggard. »Jeder Mensch hat bis zum Beweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten.«
Jemand schrie, mit einer Stimme, die sich beinahe überschlug. »Wir haben es doch gesehen! Mit eigenen Augen haben wir gesehen, dass er noch zwischen den leeren Säcken gesessen hat!«
»Wo bleibt bloß der Reverend?«, raunte man ringsum.
Und dann war da plötzlich ein Mann mit einer Pistole, der sagte: »Geht beiseite. Ich erledige das jetzt.«
Alle wichen zurück. Alle bis auf Taggard, der stehen blieb, wo er war, und nur tadelnd den Kopf schüttelte.
»Das kommt nicht in Frage, Joe.«
Joe gab einen schnaubenden Laut von sich. »Kann mal jemand dieses Arschloch beiseite ziehen?«
Arme tauchten auf, Hände, die Taggard ergriffen und aus der Schusslinie zerrten.
Markus starrte auf die schwarze, kreisrunde Öffnung des Laufs. Seine Gedanken schienen mit einem Schlag zum Stillstand gekommen zu sein. Bis auf einen. So ist das also , dachte er mit seltsamer Ruhe. So ist das also, wenn man stirbt.
Dann geschahen irgendwie zwei Dinge gleichzeitig. Taggard riss sich mit einem
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