Bärenmädchen (German Edition)
verwandelt und sie würden gleich einen Feuersturm biblischen Ausmaßes in Gang setzten.
Jetzt fühlte sie nur noch in sich hinein, denn sie wollte restlos genießen, was da gleich so mächtig kommen würde. Die sich nähernden Schritte hörte sie nicht. Männerschuhe waren es, die einen massigen Körper mit energischen Tritten bis vor die Stufen der Treppe trugen. Auch das Zischen der Peitsche entging ihr. Erstaunt schaute sie nur auf ihrem Oberschenkel. Dort schlängelte sich für den Bruchteil einer Sekunde eine Lederschnur. So schnell wie sie erschien, war sie schon wieder fort, aber sie hinterließ einen scharfen Schmerz.
Anne schrie auf. Nein, sie schrie nicht, sie kreischte in maßlosem Schreck und Entsetzen. Unten an der Treppe stand Rockenbach mit der Peitsche in der Hand. Jetzt nur beide Hände weg von dort, wo sie bei strengster Strafe nicht sein durften. Aber es ging nicht! Anne hatte ihren Körper irgendwie verschoben und nun kamen ihre Fingerknöchel nicht mehr frei unter dem enganliegenden Kunststoffschild. Sie zog und zerrte, immer damit rechnend, dass die Peitsche ein zweites und drittes Mal auf sie niedersausen würde. In ihrer Panik kippte sie nach hinten über. Ihre Beine strampelten durch die Luft. Kissen und Decken fielen die Empore herunter. Irgendwann auch das Essenstablett, das der Junge gebracht hatte. Der Teller, auf dem das Fleisch gelegen hatte, zerbrach klirrend am Boden. Dann merkte sie, wie sie selbst den Halt verlor und über den Rand der Empore glitt. Einen Moment lang war alles in der Schwebe. Beinahe schien es, als könne sie noch das Gleichgewicht bewahren. Dann aber – mit geradezu entsetzlicher Langsamkeit - kippte sie über den Rand. Wieder schrie sie gellend auf, denn sie wusste, wie hoch der Absatz über den Boden lag und sie würde wahrscheinlich mit dem Kopf voran auf den Steinboden knallen.
Zwei Arme fingen sie auf. Sie hörte, wie Rockenbach ächzte und stöhnte unter ihrem Gewicht, aber er hielt sie und ließ sie dann langsam zu Boden gleiten. Benommen vor Schreck lag sie da. Erst langsam wurde ihr bewusst, dass ihre Finger nicht mehr feststeckten. Anne konnte sich nicht daran erinnern, wie es passiert war, aber sie musste irgendeine Bewegung getan haben, die den Keuschheitsgürtel lockerte und ihre Hände frei gab. Die Fingerknöchel schmerzten etwas, aber es war erträglich.
Sie wagte einen Blick zu Rockenbach. Er stützte sich mit der linken Hand schwer an der Wand der Empore ab und rieb sich mit der anderen Hand den Rücken, sein Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse verzogen. Dann wandte er sich ihr zu und stieß sie mit seiner Fußspitze an. „Zieh dich aus“, befahl er.
Sie spürte seinen unterdrückten Zorn. Natürlich, wenn sie sich bei dieser Aktion das Genick gebrochen hätte, hätte man ihn zur Verantwortung gezogen. Wahrscheinlich hätte es das Ende seiner Laufbahn bei Magnus bedeutet. Wenn nicht sogar Schlimmeres. Wer wusste das schon bei dieser Organisation, die auf Anne immer abgründiger und rätselhafter wirkte.
Sie stand auf und streifte ihr Oberteil ab, aber dann zögerte sie. Was war, wenn Dennis kam. Er war noch so jung. Sein Vater hatte doch ausdrücklich gesagt, dass er so etwas nicht sehen sollte.
„Bitte dürfte ich erst, wenn … Ich meine, der Junge soll es doch nicht… “, stammelte sie.
Wie ein Schatten flog seine Hand heran und landete klatschend auf ihrer Wange. Ihr Kopf flog nach links und fast im gleichen Augenblick nach rechts, als er mit dem Handrücken, den Schwung ausnutzend, auch ihre andere Wange ohrfeigte. Ihr Kopf dröhnte und schmerzte heftiger noch als ihr Oberschenkel, dort wo die Peitsche ihn getroffen hatte. Immerhin: Rockenbachs Gewalttätigkeit hatte ihr nicht nur lichterloh brennende Wangen beschert, sondern auch einen klaren Kopf. Es war dumm, ihn zu provozieren, auch wenn sie es eigentlich gar nicht beabsichtigt hatte. Er war immer noch voller Wut und er hatte tausenderlei Möglichkeit, sich an ihr abzureagieren.
Sie spähte unter ihren gesenkten Lidern hoch, um in seiner Miene zu forschen. Aber es war sinnlos. Sein Gesicht hatte auf sie schon immer stets so undurchdringlich gewirkt, als habe es ein Bildhauer nur ganz grob aus einem Holzklotz geschnitzt. Oh ja, gute Arbeit hatte der Künstler trotzdem geleistet. Ein Holzklotz-Antlitz voller Brutalität und Gemeinheit war entstanden. Mit Knien, die sich immer noch butterweich anfühlten, brachte sie einen demütigen Knicks zustande. „Danke Herr
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