Bärenmädchen (German Edition)
nebeneinander hergehen konnten, und trotzdem war es ihr, als würden die hohen grauen Steinwände immer näher zusammenrücken und sie langsam erdrücken. Wenn sie jetzt einen lauten Ton von sich gab, würde er bestimmt, wie in einem Gruselfilm, dutzendemale nachhallen. Das Schloss würde sich prächtig als Ort für blutrünstige Horrorstreifen machen. Aber jetzt bloß nicht an so etwas denken. Sie schauderte und begann schneller zu gehen. Hätte man ihr nur die Uhr gelassen, dann wüsste sie wenigstens, wie lange sie schon unterwegs war. Ihr eigenes Zeitgefühl meldete eine halbe Ewigkeit.
Da endlich sah sie, dass in einiger Entfernung ein Flur nach rechts abzweigte. Da musste sie rum. Und Schritte waren auch zu hören. Irgendjemand kam ihr auf dem Gang entgegen. Sie bog um die Ecke und erschrak. Im ersten Augenblick dachte sie, es wäre der Räuberhauptmann. Dann erkannte sie, dass er nur gleichfalls einen gestutzten dunklen Vollbart trug und eine ähnliche Statur besaß. Ansonsten war er älter und auch etwas fülliger. Auf jeden Fall war es aber unverkennbar ein Alpha. So verflüchtigte sich ihre Erleichterung, nicht mehr allein zu sein mit jedem Schritt, den der Mann näherkam. Eilig versuchte sie sich an alles zu erinnern, was die Krähe gesagt hatte: Nur reden, wenn man angesprochen wurde. Dann in Stehposition gehen. Immer antworten. Immer „Herr“ am Ende des Satzes sagen. Bei Bestrafung zweimal bedanken. – Aber bitte nur das nicht. Für heute habe ich eindeutig genug erlitten, fand sie.
Ihr gesenkter Blick saugte sich geradezu am Boden fest, und sie drückte sich so weit wie möglich rechts an der Wand entlang. Das Klacken der Schuhe auf dem Granitboden wurde immer lauter. Herrisch und selbstsicher klang das. Dann waren sie auf einer Höhe. Anne sah braune Schnürschuhe, darüber die Hosenbeine eines dunklen Anzuges. Dann war der Alpha vorbei. Anne atmete auf.
„Steh“, hörte sie hinter sich.
Sie zuckte zusammen. Jetzt nur alles richtig machen. Hintern heraus und Brüste vor. Hände auf den Rücken. Handflächen nach hinten zeigend.
Die Schuhe klackerten näher und dann schob sich der Mann in ihr Gesichtsfeld. Der Geruch eines teuren Aftershaves stieg ihr in die Nase und gleichzeitig sah sie einen offensichtlich maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug sowie eine blaue Krawatte mit Lillienmuster. Höher wagte sie nicht zu schauen.
„Wo willst Du hin, Anne?“, fragte er. Seine Stimme hatte einen leichten französischen Akzent. Sie klang nicht unfreundlich. Trotzdem war ihr Kopf mit einem mal völlig leer, und woher kannte der Mann ihre Namen? Ach ja, das Halsband.
„Ich will zum …äh… Interview. Herr von Ungruhe hat mich geschickt“, stotterte sie und erinnerte sich im letzten Moment daran ein demütiges „Herr“ ans Satzende zu fügen.
„Und warum gehst du nicht, wie es sich für eine Zofe gehört?“
Anne wusste, dass sie jetzt knallrot wurde. Würde das denn nie aufhören, dass sie so leicht in Verlegenheit gestürzt werden konnte?
„Es ist der Zapfen“, flüsterte sie.
„Was für ein Zapfen?“ Jetzt klang die Stimme amüsiert.
„Er steckt unten in mir drin. Er ist in dem Intelligenten Body eingearbeitet“, gestand sie.
Der Mann lachte. „Intelligenter Body? Na, da hat sich Attila ja wieder was Feines ausgedacht. Bin schon gespannt darauf, wenn er uns das Teil präsentiert. Wie groß ist dein Zapfen denn?“
Anne zeigte es mit den Händen und – oh, mein Gott – jetzt musste sie wie ein Schulmädchen auch noch kichern. Da schlug der Mann zu. Seine Ohrfeige war längst nicht so brutal, wie die der pausbäckigen Krankenschwester gestern. Sie hinterließ nur ein leichtes Brennen auf ihrer Wange. Aber sie genügte, um auch den allerletzten Rest ihres Stolzes zu einem Häufchen Asche zu verbrennen. Vor allem, als der Mann in völlig sachlichen Ton hinzufügte: „So und jetzt sagst du schön Danke.“
„Danke, Herr“, sagte sie mit tonloser Stimme.
„Sprich im ganzen Satz, Mädchen. Laut und deutlich.“
„Danke Herr für die Ohrfeige“, brachte sie – für ihre Ohren viel zu laut – hervor. Jetzt halte ihre Stimme wirklich durch den Gang. Eines war zumindest klar, dass hysterische Kichern hatte ihr der Mann gründlich ausgetrieben. Zu ihrer Erleichterung ließ er sie jetzt wenigstens gehen. Er befahl aber: „Ab jetzt läufst Du so, wie es sich für eine Zofe gehört. Also ‚Ab‘“
Anne wackelte los. Jetzt bloß nicht an das Ding in ihrem Schoß denken.
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