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Bärenmädchen (German Edition)

Bärenmädchen (German Edition)

Titel: Bärenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Berlin
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praktisch hermetisch abgeriegelt war.
    Vielleicht weil die Mädchen so offen waren, über eine aus ihrer Gruppe zu lästern, flocht er in seine Erläuterungen auch eine kritische Bemerkung über den Räuberhauptmann ein. Adrian Götz sei zwar sicherlich ein guter Sicherheitschef, aber als Alpha wäre er seiner Meinung nach zu weich.
    „Zu weich?“, fragte Anne überrascht.
    „Er bringt Betas wie euch zu viele Gefühle entgegen.“
    Anne und Miriam waren zunächst sprachlos über diese kaltherzige Aussage. Dann platzte es aus Anne heraus: „Haben sie ihrer Minou in Paris etwa keine Gefühle entgegengebracht?“
    Fast im selben Augenblick als der Satz heraus war, hielt Anne sich bestürzt die Hand vor dem Mund und sie erschrak noch viel mehr als sie sah, welche Wirkung ihre Frage bei Sieversen auslöste. Sie blickte nicht mehr in das Gesicht eines gütigen alten Herrn, sondern in das Antlitz eines totenschädeligen Unholdes. Unwillkürlich dachte sie an das zweite Foto und die Zigarette in seiner Hand, Jetzt hätte er sie wohl liebend gerne auf ihr ausgedrückt.
    Dann von einer Sekunde auf die andere schaute er nicht mehr böse, sondern unendlich traurig. So hoffnungslos erschien er in seinem Elend, dass sie an das Bild von Edward Munchs „Der Schrei“ denken musste. Nie zuvor hatte sie ein echtes Gesicht derart leidend und gequält gesehen. Da sprang sie auf und lief zu ihm um den Tisch herum. Sie hockte sich vor ihm hin, ergriff seine Hand, die vom Tisch herabgesunken war und bat aufgelöst um Entschuldigung.
    „Du hast die Fotos auf der Treppe gesehen?“, fragte Sieversen. Er war sichtlich darum bemüht, die Fassung zurückzugewinnen.
    Anne nickte.
    „Du musst dich nicht entschuldigen. Ich muss es tun. Götz ist nicht zu weich. Er macht alles richtig. Aber ich bin immer noch so ein bösartiger Unmensch wie damals. Da habe ich alles falsch gemacht.“
    Anne war klar, dass Sieversen, das was damals geschehen war, zutiefst bereute. Jetzt hatte sie nur noch Mitleid mit ihm, und da – ganz spontan, ohne nachzudenken – bot sie ihm Ungeheuerliches an: „Möchten sie sich jetzt eine Zigarette anstecken?“, sagte Anne und warf einen Blick auf ihre nackte Schulter.
    Sieversen lächelte. „Jetzt bist du aber zu weich, Anne. Das kann für eine Beta gefährlich werden. Man könnte sie beim Wort nehmen“, sagte er. Dann nach einer kurze Pause fuhr er immer noch lächelnd fort: „Wärst Du mir sehr böse, wenn ich darauf verzichte und euch bitte, mir stattdessen noch viel mehr über diesen verrückten Attila von Ungruhe und seinen Intelligenten Body zu erzählen.“
    Miriam hatte zwar die Bilder nicht gesehen und wusste daher nicht, worum ging, aber sie hatte sich ebenso erschrocken wie Anne. Jetzt, mit einem raschen Seitenblick auf Anne, die ihr dankbar zunickte, nutzte sie die Gelegenheit, das Gespräch in gewohnte Bahnen zu lenken. Sie stöhnte theatralisch auf und berichtete vom Unterricht in Konversation. Drei Bs hätten sie, laut Attila von Ungruhe, beim Plaudern mit einem Alpha stets zu beherzigen: Begeistert zuhören, bewundernde Zwischenbemerkungen machen und bloß nicht anderer Meinung sein. Dann kam sie wieder auf Dascha zu sprechen und mit welchen Winkelzügen sie es immer wieder schaffte, in den Genuss des rosa Knopfes beim „IB“ zu kommen.
    Anne aß anfangs schweigend weiter, beteiligte sich dann aber wieder lebhafter am Gespräch. Schließlich war es Zeit für die Nachtisch-Zeremonie. Anne und Miriam nahmen ihre Schälchen mit dem Eis. Dann setzten sie sich links und rechts neben Sieversen an den Tisch. Das Dessert war die einzige Gelegenheit, bei der ihr greiser Hausherr tatsachlich auf Tuchfühlung mit ihnen ging. Er tat es auf ebenso skurrile wie sittsame Art. Er fütterte sie. Das war befremdlich, aber schließlich, so dachte Anne ergeben, hätte er seine Lust daran, Frauen etwas in den Mund zu schieben, auch ganz anders befriedigen können. Außerdem: Was tat man nicht alles, um einmal wieder rundum satt zu werden. Vor allem, da Anne daheim in Hamburg nach Süßem geradezu süchtig war und Schokolade, Eis und anderes Naschwerk im Schloss schmerzlich vermisste.
    Der alte Herr fütterte sie zudem ziemlich geschickt. Nur beim ersten Mal kollidierte der Dessertlöffel einige Male mit dem unteren Rand von Annes Nasenglöckchen. Damals gab es Crème brûlée. Als er die Crème zum zweiten Mal mit einer Servierte vom Glöckchen wischte, erklärte er kopfschüttelnd: „An was für verrücktem

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