Balthazar: Roman (German Edition)
Paar Stiefel zu kaufen? Es war unwahrscheinlich, aber es lohnte sich, ihn danach zu fragen.
Er hörte Charity lachen und etwas sagen. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie mit sich selber sprach. Aber in so großer Entfernung zur Straße hatte er nicht damit gerechnet, jemanden antworten zu hören. Balthazar richtete sich rasch wieder auf und hastete über den Hügel Charity hinterher, bis er sie neben einem Einspänner stehen sah, auf dem zwei Menschen saßen, ein Mann und eine Frau, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie mussten wegen des Marktes gekommen sein, aber sie waren ihm dort nicht aufgefallen. Dabei hätten sie ihm dort sofort ins Auge springen müssen, denn sie waren in Kleider in leuchtenden Farben gehüllt, und die Haare der Frau fielen ihr offen auf die Schultern wie bei einem kleinen Kind. Wie bei Charity.
In diesen Teil der Welt, der einzige, den Balthazar kannte, verirrten sich nur selten Fremde. Vielleicht war das der Grund dafür, dass er sofort misstrauisch wurde. Er rannte zu Charity und stellte sich neben sie.
»Du würdest bezaubernd in einem grünen Kleid ausschauen«, sagte der Mann, der die Zügel in den Händen hielt. Er war gut aussehend, was Balthazar auch dann aufgefallen wäre, wenn es ihm Charitys bewundernder Blick nicht verraten hätte. Sein Haar, seine Haut, selbst seine Augen schienen in Gold getaucht worden zu sein, und er hatte feine, edle Züge. Seine Kleidung war gut gearbeitet, und das neue Leder seiner Stiefel war ohne jeden Kratzer und glänzte. »Ah, und wen haben wir denn hier?«
»Meinen älteren Bruder, Balthazar More.« Charity stellte sich auf die Zehenspitzen, als sie vertraulich bemerkte: »Er ist nicht so streng mit mir wie meine Eltern.«
»Dann hat er wohl auch nichts dagegen, dass wir uns miteinander bekannt machen«, sagte die blonde Frau, deren glänzend schimmernde Locken weitaus auffälliger gewesen wären, wenn sie nicht neben dem seltsam blendend aussehenden Mann gesessen hätte. Vielleicht waren die beiden ebenfalls Bruder und Schwester. Die Frau war schön wie eine Statue, aber in ihrem Blick, mit dem sie Balthazar bedachte, lag etwas Gieriges. Sie sah ihn an, wie einige der grobschlächtigeren Männer Frauen anglotzten, die ihr Haar nicht sorgfältig bedeckt hielten, oder Mädchen, die gerade dem Kindsein entwuchsen und deren Röcke noch nicht bis zum Boden reichten. Balthazar hatte nicht gewusst, dass auch Frauen dazu fähig waren, andere derart anzustarren. Wenn ihn Jane so begehrlich anschauen würde, dachte Balthazar, dann würde ihm das wohl durchaus gefallen. Aber diese Frau war nicht Jane.
»Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Sir«, sagte Balthazar und wandte seine Aufmerksamkeit dem Mann zu. »Vergeben Sie meiner Schwester. Sie ist ganz erpicht darauf, neue Bekanntschaften zu schließen.«
»Wie weise von ihr«, erwiderte der Mann. »Nenn mich Redgrave. Ich denke, wir werden in der Tat sehr gute Freunde werden. Glaubst du nicht auch, Constantia?«
»O ja, das glaube ich«, flüsterte Constantia und lehnte sich gegen Redgraves Schulter, um Balthazar wieder anstarren zu können. Das Sonnenlicht fing sich in ihrem Haar …
»Balthazar?«
Er wurde steif, während die Bilder der Vergangenheit verschwanden und seinen Geist wieder freigaben, sodass er ins Hier und Jetzt zurückkehrte. Noch immer kniete er im Schnee, und der Blutgeschmack auf seiner Zunge ließ nach. Skyes Gesicht war blass vor Sorge.
»Wie lange?« Balthazars Stimme war krächzend, als hätte er monatelang nicht gesprochen. »Wie lange war ich … nicht bei Sinnen?«
Skye antwortete: »Vielleicht zwei Minuten? Ich weiß es nicht. Alles in Ordnung?«
»Ich denke schon.« Was zur Hölle war da gerade mit ihm geschehen?
Der Geruch von Rauch und Benzin erinnerte ihn daran, wo sie sich befanden, und als in der Ferne Sirenen aufheulten, schaute Skye an ihm vorbei. »Ich will Mr Lovejoy nicht allein zurücklassen. Wir müssen bei ihm bleiben. Aber wie, um alles in der Welt, sollen wir das hier erklären?«
»Überlass das mir.« Balthazar bot seine gesamte Willenskraft auf, um wieder aufzustehen. »Ich habe eine Menge Erfahrung darin, Ausreden zu erfinden.«
Der Polizei wurde erzählt, dass Skye sich gerade auf den Heimweg von der Schule gemacht hätte und Balthazar unterwegs in Richtung Stadt gewesen sei, als sie beide unabhängig voneinander die Explosion gesehen hätten. Mr Lovejoys Wagen sei daraufhin von der Fahrbahn abgekommen; zweifellos sei er erschrocken gewesen
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