Baltrumer Bitter (German Edition)
Schäden
anzurichten. Besonders die Häuser um den Westkopf herum hat es heftig mitgenommen.
Haben Sie das gesehen?« Ehe Klara antworten konnte, fuhr Frau Steenken fort:
»War richtig lustig gestern Abend. Ganz viele Insulaner mussten plötzlich
dringend einen Spaziergang über die Insel machen, und alle blickten nach oben
zu den Dächern.«
»Katastrophentourismus«, warf Klara ein und lächelte. »Das ist
nichts Neues.«
»Psst, so was dürfen Sie nicht sagen. Das heißt Anteilnahme!
Also wirklich«, erwiderte Margot Steenken, aber auch sie lächelte.
Sehnsüchtig schaute Klara auf das Buffet. Wenn Frau Steenken
jetzt ginge, könnte sie sich durch die leckeren Speisen arbeiten.
Als ob ihre Vermieterin den Blick bemerkt hätte, wandte sie
sich ab. »So, jetzt will ich wieder mal. Wenn Herr Visser kommt, soll er sich
eben melden.«
Klara stand auf und konnte sich kaum beherrschen bei dem
liebevoll angerichteten Angebot. Sie nahm von dem Schinken, der ihr am Tag
zuvor schon so gut geschmeckt hatte, dazu eine Scheibe ostfriesischen Käse und
als Krönung ein Stück von einer hausgemachten Bauernmettwurst, die verlockend
duftete. Dazu ein kross gebackenes Brötchen. Das reichte erst einmal. Sie
musste sich den Teller nicht so vollladen wie ihr Kollege gestern.
»Du, gehst du gleich an den Strand? Kaufst du mir ein Eis?«
Klara schreckte auf. Sie merkte, dass ihr Messer im Brötchen
steckte, sie aber noch keinen Versuch unternommen hatte, das Ding in zwei
Hälften zu teilen. Immer wieder gingen ihre Gedanken zu dem Mann, der
fortgegangen und bis heute Morgen nicht wiedergekommen war. So wütend konnte
man doch gar nicht sein, dass man sein Bett allein ließ. Es sei denn, er hatte
jemanden gefunden, die ihn getröstet hatte.
»Du, ich heiße Kevin, und du?« Einer der beiden Jungen, die
sich gestern mit heißem Kakao hatten volllaufen lassen, steuerte auf ihren
Tisch zu.
»Ich heiße Klara. Und nein, ich gehe gleich nicht an den
Strand. Tut mir leid.«
»Wo ist dein Mann? Der von
gestern. Gestern hattest du doch einen Mann mit. Ist das dein Mann? Hast du
Kinder? Ich habe noch einen Bruder. Der heißt Mark und ist total doof. Er hat
mich gerade geboxt und boxen darf man nicht, sagt Tante Inge aus dem Kindergarten
immer.«
Klara wurde schlecht. Der kleine Stöpsel neben ihr wusste ganz
genau, was richtig war und was nicht. Und sie? »Du hast recht. Boxen darf man
nicht.«
»Kevin, nun komm.« In der Stimme von Kevins Mutter lag
Ungeduld. »Dein Kakao wartet. Wir wollen doch gleich die Wattwanderung
mitmachen.«
»Aber die ist erst später«, lachte ihr Mann, und die beiden
Jungs stimmten ein. »Jetzt steigt das Wasser noch. Du kannst natürlich durchs
Watt schwimmen. Da siehste aber nicht so viel.«
»Au ja, eine Wattdurchschwimmung, das wäre cool«, rief einer
der Jungen übermütig. »Ich hole meine Schwimmflossen.« Auch Muttern stimmte in
das Gelächter ein.
Klara allerdings war nicht zum Lachen. Der Appetit war ihr
vergangen. Selbst das gemütliche Ambiente des Frühstücksraums konnte ihre
Unruhe nicht mildern. Wo steckte Frank nur? Ihr wurde immer mulmiger. Lag er
vielleicht hilflos irgendwo rum, weil ihn Nachwirkungen ihres Schlages eingeholt
hatten? Nächste Frage: Wo war Sonja? Schon wieder zu Hause in Aurich? Oder
hatte sie die Nacht in einem der Baltrumer Hotels verbracht?
Nervös versuchte sie ein weiteres Mal an diesem Morgen Frank zu
erreichen. Wieder war nur die Mailbox dran. Gerade, als sie das Telefon wieder
einstecken wollte, klingelte es. Wobei das Wort »Klingeln« nicht sonderlich treffend
für das Geräusch war, mit dem das kleine, schwarze Teil in ihrer Hand auf sich
aufmerksam machte. Sonja hatte in einem Anfall von Wahnsinn kurz vor Klaras
Abreise Time to say good bye auf ihr Handy gespielt. War ja peinlich,
hier mitten unter den Frühstücksgästen. Aber das Ding im Zimmer lassen? Unvorstellbar!
Einmal im Dienst, immer im Dienst. Sie sah aus den Augenwinkeln, dass der eine
oder andere Gast genervt zu ihr herüberschaute. Und das Display verhieß nichts
Gutes. Die Nummer ihres Chefs leuchtete ihr entgegen. Auch das noch.
Als sie hörte, was er ihr zu
sagen hatte, blieb ihr fast das Herz stehen: »Ich komme. Jetzt gleich. Holt ihr
mich bitte am Anleger ab? Dann können wir die Zeit auf dem Weg ins Dorf schon
mal zu einem kurzen Gespräch nutzen.«
Sie wusste im ersten Moment nicht, was sie sagen sollte, also
blieb sie stumm.
»Hallo, Klara, gib mir den Frank, wenn du zu faul
Weitere Kostenlose Bücher