Bann der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Blicke.
»Ja, natürlich«, sagte Casey nach einer Weile. »Wir wissen, dass ein Zehnjähriger niemals einem Dämon entkommen könnte, und Atalanta würde ihn nicht töten. Aber sie wird ihn verstecken. Falls wir herauskriegen, wo sie ihn festhält, können wir es den Argonauten per Funk durchgeben.«
Erstmals seit die Wächter fort waren, regte sich Hoffnung in Callia. Ihre Handflächen begannen zu schwitzen, und sie wischte sie an ihrer Hose ab. »Was ist, wenn sie uns sehen kann? Ich meine, ist das nicht gefährlich? Wenn wir sie sehen, kann es doch gut sein, dass sie uns auch sieht.«
»Kann sein, nehme ich an«, antwortete Isadora. »Aber was macht das? Sie weiß nicht, wo wir sind.«
Callia sah von Isadora zu Casey und wieder zurück. Keine von ihnen sagte etwas. Es mochte sinnvoll sein, dennoch war Callia hin und her gerissen. Sie könnten sich irren, Atalantas Kräfte könnten stark genug sein, sie zu sehen, ihre Pläne zu erkennen, ihre Gedanken zu lesen.
Casey beugte sich vor. »Also, wie machen wir das?«
»Berührung und Konzentration waren bei mir immer Voraussetzungen, in die Zukunft zu sehen«, sagte Isadora.
»Und bei mir, um in die Vergangenheit zu sehen«, ergänzte Casey.
Isadora sah Callia an. »Bereit?«
Nein, sie war nicht bereit. Aber Casey hatte recht. Zumindest taten sie irgendetwas, und das Risiko war verschwindend gering.
Zögerlich senkte sie ihre Hand über das Siegel. Das Metall fühlte sich kalt an. Casey und Isadora berührten es ebenfalls, und kaum fassten alle drei es an, loderte Hitze in der Scheibe auf und strömte Callias Arm hinauf.
Sie rang nach Luft. Das Glühen wurde intensiver, wechselte von sanftem Rosa zu einem leuchtend roten Strahlen um ihre Hände.
»So ist es richtig«, flüsterte Isadora. »Jetzt konzentriert euch. Denkt an das Ziel.«
Callia schloss die Augen und malte sich Atalanta aus, so gut sie es konnte; allerdings weniger das Bild der Gottheit, eher die Essenz ihrer Seele. Farben blinkten hinter ihren Lidern, Weiß, Gold, Blau, Schwarz. Das Schwarz blieb wie ein Fleck, wie das Böse, das die Seele der Halbgöttin trübte. Ein Bild flackerte auf, verschwommen zuerst, doch beständig klarer werdend: grüne, weiche Hügel, ein breiter Fluss, Klippen, ein sich schlängelnder Weg und ein Gebäude, dreigeschossig mit Kuppeldach, das über dem steilen Felshang vollkommen deplatziert wirkte. Da war Atalanta, auf einem Thron im Innern des Hauses, blutrot gewandet. Sie sah hinauf zu einer runden Galerie, wo zwanzig oder mehr ihrer Dämonen auf ihre Befehle warteten.
Es war nicht der Truck Stop oben in den Bergen, zu dem Zander und die Argonauten unterwegs waren. Dies hier war woanders, irgendwo, wo es grün und feucht war, nicht kalt und verschneit. Stimmen raunten, aber die Worte verstand Callia nicht. Die Dämonen eilten weg, bis Atalanta ganz allein in dem achteckigen Raum war. Sie senkte ihren Kopf und blickte starr geradeaus. Es schien, als würde sie direkt Callia ansehen.
Ich sehe dich, Horae.
Callia stieß einen stummen Schrei aus und riss die Augen auf. Sie sah Casey und Isadora an, die beide kein bisschen erschrocken wirkten. Sie hatten ihre Augen geschlossen, und ihre Gesichter waren vollkommen ruhig. Beide atmeten langsam.
Ja, dich, Eirene.
Als Callia sich umblickte, war es nicht das gemütliche Wohnzimmer, das sie umgab, sondern sie sah Atalanta wieder, den Thron, auf dem sie saß, und die Steinmauern hinter ihr.
Ich sehe in deine Gedanken. Ich weiß, was du willst. Wir sind gar nicht so verschieden, du und ich. Die Zurückgelassenen. Die, die von den mächtigen Helden verstoßen wurden. Du weißt, warum er dich abgewiesen hat.
Callias Herz pochte schneller. Sie wollte ihre Hand von dem Siegel nehmen, konnte es aber nicht.
Weil du eine Frau bist. Und für ihn bedeutet das schwach. Denkst du ehrlich, er verbietet dir zu kämpfen, weil er dich beschützen will? Weil er dich liebt? Sie lächelte spöttisch. Ein Argonaut kennt keine Liebe. Er ist das Produkt des egoistischen Gottes, der ihn zeugte.
»Du lügst.«
Er unterdrückt dich, weil er es kann , fuhr Atalanta fort, als hätte Callia nichts gesagt. Weil es seine Art seit Urzeiten macht. Und weil du, Eirene, seine Schwäche bist, sein wunder Punkt, seine Achillesferse. Glaubst du, ihn interessiert, ob du lebst oder stirbst? Er interessiert sich nur für sich selbst.
»Nein«, flüsterte Callia.
Frag ihn, Weib. Und erfahre die Wahrheit. Kein Mann, insbesondere kein Argonaut besitzt
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