Bei Tag und Nacht
füllte einen Eimer mit Wasser aus einem Bach in der Nähe und schrubbte die schmutzigen Kleider auf den Steinen, genau wie die anderen Frauen. Als sie fertig war, packte sie die Sachen in den Korb und schlenderte zurück zum Zelt.
Am Rand des Lagers blieb sie einen Moment stehen, als sie die hohe Gestalt von Adrian erkannte, der gerade aus dem Zelt des Generals trat. Er bewegte sich mit denselben entschiedenen
Schritten wie immer, war vielleicht auf dem Weg zu den Pferden. Hinter ihm trat ein zweiter Mann aus dem Zelt.
Er war kaum mehr als durchschnittlich groß, tadellos rasiert wie alle Offiziere und hatte braunes, glattes Haar, das an den Schläfen bereits ergraute. Er trug die Uniform eines Majors, und Elissa wußte sofort, daß das Joseph Becker war.
Ihr Puls beschleunigte sich, als er in ihre Richtung marschierte, die Stirn gerunzelt, offensichtlich in Gedanken versunken. Das war die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte - genau jetzt wollte sie ihn kennenIernen. Sie atmete einmal rasch durch und ging einfach weiter, so daß sie direkt ineinanderliefen, ihr Korb zur Seite kippte und der Major eilig die Hände ausstreckte, um den Fall zu verhindern.
Sie hielt sich an seinem Arm fest und richtete sich auf. »Entschuldigung«, murmelte sie. »Ich habe Euch nicht kommen sehen.«
»Die Schuld lag ganz auf meiner Seite.« Er ließ sie los und trat zurück. »Ich hätte besser aufpassen müssen.«
Freundlich verzog sie die vollen, einladenden Lippen. »Vermutlich waren wir beide zerstreut. Sei es, wie es sei, Eure schnelle Reaktion hat mich davor bewahrt, das alles hier noch einmal waschen zu müssen. Vielen Dank ... Major...?«
»Becker. Ich bin General Klammers Adjutant.« Der Major nahm ihr den Korb ab. »Laßt mich ihn für Euch tragen!«
Sie warf ihm ein weiteres gewinnendes Lächeln zu. »Oh, ich danke Euch, Major.« Die Hüften wiegend ging sie neben ihm her auf ihr Zelt zu, zwang ihn zu langsamerem Schritt, so daß sie ihn genauer betrachten konnte.
Mit seiner korrekten Art und unauffälligen Erscheinung wirkte er so durchschnittlich, daß sie unwillkürlich einen Anflug von Enttäuschung verspürte. Aber was hatte sie denn erwartet ? Einen Widerling wie Steigler ? Oder vielleicht jemanden, dem man seine Gemeinheit ansah, mit engen Knopfaugen und messerscharfem Mund?
Das war dieser Mann nicht, sondern einfach ein Soldat, nicht besonders attraktiv, auch nicht abstoßend. Und doch hatte er etwas Seltsames an sich, als sie so neben ihm ging. Oberflächlich gesehen wirkte es nicht finster, war aber doch irgendwie da in der Distanziertheit seines Lächelns, in der unpersönlichen Art, wie er sie anschaute, als sie sich bei ihm nochmals bedankte und verabschiedete.
Mochte Adrian das auch gespürt haben?
Sofort machte sie sich auf die Suche nach ihm.
»Hier bin ich«, rief er und hob eine Hand zum Gruß. Er stand neben Minotauros und bürstete das glänzende Fell des Hengstes mit ebensolchem Geschick, wie sie es schon oft an ihm bewundert hatte.
»Ich bin Becker begegnet«, berichtete sie ohne lange Einleitung. »Wir sind uns ganz zufällig über den Weg gelaufen, als ich vom Waschen zurückkam.«
Er hob eine wissende Braue. »Ganz zufällig!«
Sie errötete leicht. Wie schaffte er es nur, sie immer zu durchschauen? »Na ja, ich habe etwas nachgeholfen. Du hast ihn sicher auch getroffen. Was meinst du?«
Mitten in der Bewegung hörte er auf zu bürsten. »Ich weiß nicht recht.« Er schüttelte den Kopf. »Irgendwie ist er anders, als ich erwartet hatte ... Er ist nicht unliebenswürdig, hat aber etwas Eigenartiges an sich.«
»Ja, das ist mir auch aufgefallen.«
»Heute abend wird er im Lager sein. Wenn wir Glück haben, triffst du ihn noch einmal.« Eindeutig war er darüber nicht sehr froh. Mit gefurchter Stirn bürstete er zu schnell und hart über den Kopf des Hengstes, der schnaubte und seinen schönen Kopf hochwarf. »Entschuldige, Junge!«
»Wir müßten in sein Zelt gelangen.«
Adrian nickte. »Morgen früh brechen wir auf in Richtung Wien. Dann geht alles drunter und drüber - vielleicht macht es das einfacher.«
»Morgen schon?«
»Der Erzherzog hat so lange gewartet, wie er konnte. Die Armee muß in der richtigen Position aufmarschieren für den nächsten Angriff.«
»Dann dürfen wir keine Zeit verlieren. Ich besuche Becker heute abend.«
Ihr Beschützer sagte nichts. Bürstete beharrlich das Pferd weiter. Doch als sie sich abwandte, hätte sie schwören können, daß sein
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