Benny und Omar
das nicht alles schon schlimm genug wäre, machte Harmony Rossi auch noch eine Exkursion mit ihnen. Nach Bennys Erfahrung gab es zwei Sorten von Schulausflügen: Den pädagogischen Ausflug mit einem jungen Idealisten, der gerade von der Universität kam und meinte, die Kinder wollten an ihrem schulfreien Tag tatsächlich etwas lernen. In diese Kategorie fielen Besuche im Zoo, im Museum oder – wie schrecklich – eine Fahrt zum Burren.
Etwas erfahrenere Pädagogen bevorzugten die zweite Sorte: Sie fuhren mit den Kindern in einen Freizeitpark und überließen es ausgebildeten Animateuren, die Kleinen müde zu machen.
Harmony hatte eine dritte Kategorie eingeführt: Sie tat so, als handle es sich nur um eine Informationstour, auf der die Schüler mehr über das tunesische Gesundheitssystem erfahren sollten. Aber Benny wusste, welche Absicht eigentlich dahinter steckte: den verwöhnten Mittelschichtkindern sollte die weniger privilegierte Seite des Lebens vorgeführt werden. Dann würden sie merken, wie gut es ihnen ging, und nicht mehr dauernd nörgeln. So saßen sie also alle hinten in einem Reisebus und waren auf dem Weg zu einem Krankenhaus für behinderte Kinder, das tatsächlich Psycho-Farm hieß.
Nach einer schweißtreibenden halbstündigen Busfahrt klopfte Harmony an ein großes Holztor. Das Tor öffnete sich einen Spalt und ein lächelndes Gesicht erschien. Der Mann sprach französisch und sehr schnell mit Harmony. Er war, wie sich herausstellte, der Direktor der Schule und überdies ein ziemlich cooler Typ. Mit Gel nach hinten gekämmte Haare und langer Al-Pacino-Ledermantel. Er stellte sich als Samir Asaad vor und drückte allen in der Runde förmlich die Hand. Samir hatte in Edinburgh studiert und sprach annehmbar englisch. Trotzdem war es seltsam, an diesem Ort einen schottischen Akzent zu hören.
»Guten Morgen, Jungen und Mädchen«, sagte er. Wenn man ihn so hörte, war man sicher, dass er sie alle aufheitern würde.
Grace musste unwillkürlich kichern und wäre dann am liebsten im Boden versunken.
Samir grinste. »Ich weiß schon. Das hättet ihr nicht erwartet, nicht wahr?«
»Nein«, entgegnete Grace. »Bestimmt nicht.«
»Schottin, was? Bis du für die Rangers oder für Celtic?«
»Celtic.«
Samir zuckte die Achseln. »Na ja. Niemand ist perfekt.«
Und ohne dass jemand es wirklich merkte, entspannte sich die Situation. Dieser Typ ist ein Profi, dachte Benny.
»Ich erzähle euch ein bisschen was darüber, wie die Einrichtung hier entstanden ist. Es gibt nicht viele Einrichtungen dieser Art in Tunesien.«
Es gab einen Hof und ein paar Nebengebäude. Unter abblätternder Farbe wurden dieselben Lehmmauern sichtbar, die auch die Schule umgaben. Überall streunten glückliche Tiere herum. Pferde, Truthähne, Ziegen und Hühner trotteten zutraulich umher und probierten alles, was auch nur im Entferntesten essbar aussah. Und zwischen ihnen wuselten gut zwei Dutzend Teenager herum.
Sie begannen mit der Besichtigung. Erste Station war der Stall.
»Hier halten wir die Pferde.«
»Ach wirklich?« Benny konnte der Versuchung nicht widerstehen.
Samir deutete mit dem Kopf in seine Richtung. »Schotte?«
»Ire.«
»Ach so«, sagte Samir lächelnd. Es war keineswegs ein freundliches Lächeln. Ein Goldzahn blitzte in seinem Mundwinkel auf. Benny verstand den Blick, mit dem Samir ihn ansah. Er war eine Warnung. Mach das noch einmal und pass auf, was dann geschieht. Benny war wieder auf vertrautem Terrain.
»Jedes Pferd wird von zwei Kindern versorgt. Sie sind verantwortlich für das Tier. Es ist erstaunlich, wie sich das auf diese Kinder auswirkt – und auf die Tiere.«
Das stimmte. Die Tiere waren in einem ausgezeichneten Zustand. Ihr Fell glänzte und bei keinem einzigen Tier konnte man die Rippen zählen. Die tunesischen Kinder bürsteten die Pferde mit kräftigen Strichen und redeten unaufhörlich auf sie ein. Einige umarmten sie einfach weinend. Bewegende Szenen spielten sich ab.
»Jede Hilfskraft ist für vier Kinder zuständig. Wir versuchen auch, ihnen grundlegende Fertigkeiten beizubringen. Einfache Dinge des täglichen Lebens wie Körperpflege, Sicherheit im Straßenverkehr und so weiter.«
Sogar Benny verkniff sich eine vorlaute Bemerkung.
»Vier ist zu viel. Eins zu eins wäre besser. Aber wir können froh sein, dass wir diese Einrichtung überhaupt haben.«
Ein großer dicker Junge war im Pferch bei den Schafen. Er schien mit ihnen zu kämpfen. Er kniete auf allen vieren im
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