Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille
dafür, wir wissen es - und doch … “ Felix schien einen Augenblick lang nachdenken zu müssen: „Vielleicht ist es angebracht - zumindest, solange wir noch nicht alle Zusammenhänge durchschaut haben - den ein oder anderen Trick aus guten alten Zeiten beizubehalten. Also: Schäm dich, hörst du, schäm dich für das, was du nicht müde wirst, herauszuposaunen.“ Seine Stimme troff vor Spott.
Doch bevor Felix geendet hatte, hatte Quentin schon den Kopf gesenkt und sich mit einer abrupten Bewegung aus der Runde abgewendet.
Till sah ihn davongehen und konnte nicht anders, als Mitleid mit ihm zu empfinden. So gelehrt und bedacht Henning und vielleicht auch Malte gesprochen hatten, Till kam es so vor, als ob Quentin derjenige gewesen wäre, der - egal wie grotesk das, was er gesagt hatte, auch anmutete - von ihnen allen am tiefsten hineingeschaut hatte in den Abgrund, der sich auftat, wenn man sich auf die Auseinandersetzung einließ, die Felix und seine Entourage umtrieb.
BERLIN GOTHIC 4
Vierter Teil
1
Heute
Lisa steht am Fenster, von dem aus man einen herrlichen Blick über die Stadt hat. Sie trägt einen Morgenrock und beobachtet, wie sich der Sommerhimmel mit dem ersten silbrigen Glanz des Tages überzieht.
Mächtig ragt links von ihr der Turm vom Alexanderplatz in die Höhe.
Doch Lisa sieht nicht zum Turm.
Sie sieht auf etwas darunter.
Auf eine hellgraue Staubwolke, die in der Luft zu stehen scheint.
Entferntes Sirenensummen liegt über der Stadt.
Felix hat gesagt, dass er Till im Laufe des Vormittags bei ihr vorbeibringen lassen wird.
Es ist das zweite Mal, dass sie und Till sich begegnen werden, nachdem sie sich länger nicht gesehen haben. Das erste Mal war es so, als Till vor zwei Jahren zu Bettys Hochzeit aus Kanada nach Berlin gekommen ist. Und immer, wenn Lisa an die Sommerwochen zurückdenkt, die sich daran anschlossen, überfällt sie ein Schauer.
Jetzt ist es wieder so weit. Diesmal ist Till zur Beerdigung gekommen, dort hat sie ihn gestern seit jenen Sommerwochen erstmalig wiedergesehen. Aber diesmal - dessen glaubt Lisa sich sicher sein zu können - wird es kein weiteres Wiedersehen geben, wenn sie sich noch einmal aus den Augen verlieren. Diesmal muss sie sich entscheiden - entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen will.
2
„Diercksenstraße - Ecke Münz … wieviele - “ Die Stimme ist blechern verzerrt.
„Vierzehn.“
„Okay … sind die Einsatzkräfte vor Ort?“
„Ich kann Sie schlecht verstehen … “
„Jetzt?“
„Ja … besser.“
„Was ist mit den Einsatzkräften?“
„Alles auf dem Weg. THW unterstützt.“
„Ich weiß, Sie können dazu noch nicht viel sagen … trotzdem … gibt es Anhaltspunkte, Richtungen, in die man zu denken begonnen hat - “
„Sie meinen, wegen der Ursache?“
„Ja.“
„Wir versuchen noch, an die Pläne zu kommen. Statik. Das Gebäude ist 1971 erbaut worden … Plattenbauweise … vierzehn Stockwerke - “
„Gut, Statik … was noch?“
„Anschlag. Die zuständigen Kräfte sind vor Ort. Bisher keine Erkenntnisse.“
„Was noch?“
„Es hat Probebohrungen in der Nähe gegeben, um über Möglichkeiten einer Verlängerung der U2 nachzudenken … Dabei sind Hohlräume aufgebohrt worden, die zum Teil noch aus dem 19. Jahrhundert stammen … “
„Okay. Andere Überlegungen?“
„Hören Sie, wir … wir sind dran … “
„Ich weiß, ich sagte es … dennoch - “
„Verstehen Sie, es kann auch einfach ein Mieter gewesen sein … was weiß ich, jemand kann eine Gasflasche falsch deponiert gehabt haben … vielleicht hat einer gebastelt … wir können das nicht ausschließen, aber … “
„Aber?“
„Ich bin der letzte, der Panik verbreiten will, das wissen Sie … aber ich meine: Ist es wirklich ratsam, alle Kräfte auf eine Untersuchung dieses einen Vorfalls zu konzentrieren … oder wäre es vielleicht klug, auch mit der Möglichkeit zu rechnen - “
„Dass es zu weiteren Vorfällen dieser Art kommt?“
„Ja?“
„Gibt es dafür Anzeichen?“
„Es gab einen Zwischenfall gestern in der Leipziger Straße, ebenfalls ein Hochhaus, Plattenbau … bisher sind die Einzelheiten nicht geklärt … es scheint jemand in das Gebäude eingedrungen zu sein.“
„Ich verstehe … ich verstehe, was Sie meinen … “
„Und?“
„In Ordnung, Sie haben recht. Bilden Sie Arbeitsgruppen, die … wie auch immer Sie dazu sagen … eine was? To-do-Liste aufstellen - für den Fall weiterer
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