Bestien
Augenblick inne, dann
schlug er mit der rechten Hand an die Decke. Darauf ließ er
sich wieder hinab, und als er eine Höhe von ungefähr drei
Metern erreicht hatte, ließ er, einer plötzlichen Laune folgend,
los und fiel. Seine Knie fingen den Aufprall ab, und er verlor
momentan das Gleichgewicht und mußte sich mit einer Hand
am Boden abstützen, sprang aber gleich wieder auf.
»Vorsichtig«, sagte Collins, nachdem er bewundernd durch
die Zähne gepfiffen hatte. »Wenn du falsch aufkommst, kannst
du dir dabei einen Knöchel brechen.«
»Aber ich kam nicht, oder?« erwiderte Mark grinsend.
In den nächsten dreißig Minuten führte der Trainer Mark
durch ein rigoroses Übungsprogramm, doch selbst als er es
absolviert hatte, ging sein Atem kaum schneller als unter
normalen Verhältnissen. Und obwohl auf seiner Stirn
Schweißtropfen standen, war sein Hemd noch einigermaßen
trocken, und wenn er danach urteilte, wie seine Muskeln sich
fühlten, hätte er noch eine Stunde weitermachen können.
»Ganz und gar nicht schlecht«, bemerkte Collins, als es
vorbei war. Er winkte Mark, ihm ins Büro zu folgen, warf sich
in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch und beäugte Mark
abschätzend. »Schon mal daran gedacht, dich für Football zu
engagieren?«
Mark befeuchtete sich nervös die Lippen. »Nicht bis vor ein
paar Wochen«, sagte er endlich. Sein Blick war auf den Boden
vor dem Schreibtisch des Trainers fixiert. »Ich bin ein bißchen
klein, nicht?«
Collins wedelte unbestimmt mit der rechten Hand. »Viele
Jungen gleichen die fehlende Körpergröße durch andere Eigenschaften aus«, bemerkte er. »Schnelligkeit, Beweglichkeit,
alles kann den Ausschlag geben. Und wichtig ist vor allem der
Wille zum Sieg«, fügte er hinzu. »Wenn du den hast, kann er
vieles ausgleichen.«
Mark überdachte die Worte des Trainers. Er wußte, daß es
zutraf – wußte es von den Ruderübungen im Sportzentrum, wo
der Anblick anderer, ihn überholender Ruderer ausgereicht
hatte, Adrenalin in sein Blut zu pumpen und ihm die
zusätzliche Kraft zu geben, die er benötigt hatte, um wieder
gleichzuziehen.
»Ich glaube, ich würde es ganz gern versuchen«, sagte er
schließlich, und Collins grinste ihm zu und stand auf.
»Dann sehen wir uns heute nach der Schule«, sagte er.
»Rede mit Toby Miller wegen eines Übungstrikots.«
Marks freudiger Ausdruck verflog. »Ich muß heute zu Dr.
Ames«, fing er an, aber Collins winkte ab.
»Das ist schon in Ordnung«, sagte er mit einem
Augenzwinkern. »Ich dachte mir, du würdest gern einmal bei
uns mitmachen, also habe ich das bereits mit ihm geregelt. Du
bist für später eingeplant, nach der Übungsstunde.«
Mark starrte den Trainer überrascht an, dann breitete sich
langsam ein Lächeln über sein Gesicht aus. »He, danke«, sagte
er. »Vielen Dank. Bis später.«
Er trottete in den Umkleideraum, zog das Turnzeug aus und
ging unter die Dusche. Als das heiße Wasser auf seine Haut
prickelte, verspürte er ein Aufbranden von Lebensfreude.
Alles fügte sich zu seinem besten, dachte er. Er würde die
Aufnahme in die Mannschaft schaffen, und sein Vater würde
endlich stolz auf ihn sein.
Und dann kam ihm ungebeten ein Bild seiner Mutter in den
Sinn, und um seine Freude war es plötzlich geschehen. Er
konnte schon hören, wie sie ihm erklärte, er sei zu klein für
Football, und es würde nichts dabei herauskommen, als daß er
verletzt würde.
Während er sich anzog, begann der winzige Keim des
Zornes auf seine Mutter, der unter der Dusche aufgegangen
war, bereits zu wachsen.
20
SHARON TANNER BLICKTE TRÜBE auf die Liste der
Nervenheilanstalten von Colorado, die sie am Montag in der
Bibliothek kopiert hatte. Inzwischen hatte sie jede einzelne
davon angerufen und war gestern sogar nach Canon City
hinübergefahren, um sich persönlich nach Charlotte LaConner
zu erkundigen. Aber natürlich war sie nicht weitergekommen.
Obwohl die meisten privaten Anstalten einfach geleugnet
hatten, daß sie eine Patientin namens LaConner hätten, hatten
andere es unter Hinweis auf das Gebot der Vertraulichkeit
kurzerhand abgelehnt, Auskünfte zu erteilen.
Es war eine Übung in Vergeblichkeit, darüber war Sharon
sich jetzt klar. Selbst wenn Charlotte oder Jeff Patienten in
einer der Heilanstalten waren, die sie angerufen hatte, konnten
sie unter anderen Namen oder mit der Maßgabe aufgenommen
worden sein, daß keine Auskünfte über sie erteilt werden
durften.
Und nun, am Mittwochnachmittag, war sie endlich bereit,
sich der
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