Bestien
ihr die Angst nicht allzu deutlich
vom Gesicht abzulesen wäre.
Shirley Adams, erst vor wenigen Minuten an ihren
Schreibtisch zurückgekehrt, nachdem sie dem Lehrpersonal
geholfen hatte, die Schüler wieder in ihre Klassenzimmer zu
treiben, blickte auf. »Kann ich Ihnen helfen?«
Sharon stockte der Atem, und ihr inneres Alarmsystem
schrillte eine Warnung. Etwas stimmte hier nicht, sie wußte es
so sicher, wie sie ihren eigenen Namen kannte. Sie zwang sich
zu einem freundlichen Lächeln. »Ich bin Sharon Tanner«, sagte
sie. »Mark Tanners Mutter.« Sie sah das Erschrecken der
Sekretärin, sah sie sofort zum inneren Büro blicken. Jeder Nerv
in Sharons Körper prickelte.
Die Sekretärin drückte auf den Knopf der Sprechanlage.
»Mr. Fraser? Können Sie einen Moment herauskommen? Mrs.
Tanner ist hier.«
Es war etwas nicht in Ordnung. Warum sollte die Frau sonst
den Rektor rufen, bevor Sharon auch nur ihr Anliegen
vorbringen konnte? Die innere Tür wurde geöffnet, und ein
kahlköpfiger Mann von fünfzig Jahren oder darüber kam
heraus und rieb sich nervös die Hände, bevor er Sharon eine
hinstreckte. »Mrs. Tanner«, begann er, und Sharon spürte, daß
seine Stimme eine Spur zu herzlich klang, »ich wollte Sie
gerade anrufen.«
Sie merkte, wie ihre Knie weich wurden. »Es handelt sich
um Mark, nicht wahr?« sagte sie. »Etwas ist mit ihm
geschehen.«
»Nun, es besteht kein Grund zur Beunruhigung«, fing Fraser
an, aber Sharon fixierte ihn mit zornigem Blick.
»Wo ist er?« fragte sie mit gefährlich erhobener Stimme.
»Was haben Sie mit ihm gemacht?«
Fraser tauschte einen Blick mit der Sekretärin, und Sharon
war überzeugt, daß es nur ein Teil der Wahrheit sein würde,
was er ihr zu erzählen im Begriff war. »Während des
Unterrichts klagte er über Kopfschmerzen«, sagte der Rektor.
Die Finger seiner rechten Hand drehten nervös den Ehering an
seiner Linken, und er wich Sharons Blick aus, als er sprach.
»Er konnte am Unterricht nicht weiter teilnehmen. Ich bin
sicher, daß es nichts Ernstes ist, aber wir sind immer bestrebt,
nach unseren Möglichkeiten das Beste für die Kinder zu tun.«
Sharon fühlte sich von einem Frösteln überlaufen. »Ich will
wissen, wo er ist!« rief sie aus. »Wenn Sie meinem Sohn etwas
angetan haben …«
»Bitte, Mrs. Tanner, so beruhigen Sie sich doch«, sagte
Fraser. »Ich will versuchen, Ihnen zu erklären …«
»Nein!« Sharon trat auf ihn zu. »Ich werde mich nicht
beruhigen, und Sie werden mir augenblicklich genau sagen,
was mit Mark geschehen ist.«
Fraser schien vor ihrem Zorn zu welken. »Ihr Junge ist in
der Sportmedizinischen Klinik«, sagte er in entschuldigendem
Ton. »Unsere Schulkrankenschwester – und Phil Collins, unser
Trainer – hielten es für das beste, ihn zu Dr. Ames hinauszuschicken. Er hat den Jungen sportmedizinisch betreut und
kennt ihn …«
»Lieber Gott«, ächzte Sharon. Ohne ein weiteres Wort
wandte sie sich um, verließ das Büro und eilte im Laufschritt
zum Haupteingang.
Das Sportzentrum.
Sie hatten ihn zum Sportzentrum geschickt, wo dies alles
angefangen hatte.
Als sie die Stufen hinunterlief und über die Rasenfläche zu
Elaines Wagen stolperte, betete sie, daß es nicht zu spät sein
möge.
Phil Collins starrte den Jungen ungläubig an. Der Krankentransportwagen stand in der Garage hinter dem Gebäude der
Sportmedizinischen Klinik, und die drei Wärter mühten sich,
Mark aus dem Fahrzeug zu bekommen. Dieser kurze
Augenblick der Ruhe – diese wenigen Sekunden, als Mark so
mitleiderregend zu Linda Harris geblickt hatte – war längst
vergangen, und nun stieß und trat er mit den Beinen, warf sich
wie ein Rasender hin und her. Ein Fußstoß traf einen Wärter
am Kinn, und der Mann fluchte laut, ignorierte aber den
Schmerz und das Blut, das sofort aus der Platzwunde zu
sickern begann. Er griff eine Seillänge, knotete eine Schlinge
hinein, und als Mark wieder mit dem Fuß zustieß, war der
Wärter bereit. Er warf die Schlinge über Marks Knöchel und
zog sie fest. Bevor Mark wußte, wie ihm geschah, zog der
Wärter ihn am Seil aus dem Wagen und ließ ihn auf den Boden
schlagen. Marks Kopf traf den Beton mit lautem Aufprall. Er
lag sekundenlang benommen, mit getrübter Sicht.
Der Wärter ergriff die Gelegenheit, um weitere Seilschlingen um Marks Beine zu ziehen und sie fest zusammenzuschnüren. Das Ende des Seils verknotete er am Gurt der
Zwangsjacke.
»Alles klar«, sagte er grimmig, als er fertig war. »Schaffen
wir ihn
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