BIANCA EXKLUSIV Band 0181
konnte sie sich nicht einfach in einen Zug setzen und sich irgendwo einen Job für ihren Lebensunterhalt suchen, so wie sie es früher getan hätte. Sie hatte kein Zuhause und kein Geld. Die einzige Möglichkeit war Tante Meg in Swansea. Aber das war keine sehr erfreuliche Aussicht.
Dann waren da noch andere Überlegungen. Alles, was sie für sich selbst brauchte, würde in einen Rucksack passen, aber für Chloes Sachen würde sie einen Lastwagen brauchen! Ihre Wiege, ihr Kinderwagen, ihr Spielzeug, Windeln, Kleidung … und das Schaukelpferd. Sie konnte es unmöglich mitnehmen. Dabei hatte Chloe noch nicht ein einziges Mal darauf gesessen. Sie erinnerte sich, wie begeistert die Kleine mit den Fingern durch die graue Mähne gefahren war. Wenn sie Chloe jetzt mitnahm, würde sie niemals darauf reiten können.
Aber das Kind zurücklassen? Der Gedanke wirkte wie eine kalte Dusche, doch sie musste ihn immerhin als Möglichkeit in Betracht ziehen. Für Chloe wäre es in vielfacher Hinsicht die bessere Lösung. Sie würde mit allem aufwachsen, was sie brauchte, statt ständig jeden Penny umzudrehen und doch nie genug zu haben. Sie würde sich keine Puppe leisten können und kein Spielzeug … ganz zu schweigen von der modischen Kleidung, die ihre Freundinnen bestimmt tragen würden. Außerdem hätte sie hier einen Onkel und eine Großmutter, die sie anbeteten.
Aber keine Mutter. Sollte die Geschichte sich wiederholen? Hatte ihre eigene Mutter auch in so einer verzweifelten Lage gesteckt? Sie empfand plötzlich tiefe Trauer für die dunkelhaarige Frau, die sie kaum gekannt hatte. Alle hatten ihr immer eingeredet, dass sie selbstsüchtig und rücksichtslos gewesen sei. Vermutlich hatte die arme Frau damals auch geglaubt, die beste Lösung gefunden zu haben. War es wirklich besser für ein Kind, wenn es bei einer unglücklichen Mutter blieb?
Sam schlich sich ins Kinderzimmer und trat an die Wiege. Chloe schlief. Eine winzige rosige Hand hielt einen Deckenzipfel umklammert. Der ruhige Atem hob und senkte die kleine Brust in gleichmäßigem Rhythmus. Bald verschwamm das Bild vor Sams Augen. Die Tränen rannen ihr ungehemmt über die Wangen. Sie fühlte sich, als würde sie in Stücke gerissen.
Leise schlich sie in ihr eigenes Zimmer zurück und setzte sich an den Tisch. Ihre Gedanken waren ein einziges Durcheinander. Bleiben konnte sie nicht, solange sich diese hoffnungslose Liebe Tag für Tag tiefer in ihre Seele brannte. Chloe hier zu lassen würde ihr das Herz brechen, aber mitnehmen konnte sie sie auch nicht.
Würde das Kind jemals ihr Verhalten verstehen und vergeben können? Sie könnte ihr einen Brief schreiben, den sie später einmal lesen würde … sofern Aidan das zuließ.
Sie kramte in den Schubladen nach Papier und Stift und begann, nach den richtigen Worten zu suchen.
Meine liebste Chloe, ich hoffe, Du wirst dies eines Tages lesen, wenn Du älter bist, und mir vergeben, dass ich … Eine dicke Träne fiel auf das Blatt und verwischte die Tinte. Ungeduldig riss sie die Seite vom Block und begann erneut. Du sollst wissen, dass ich Dich sehr lieb habe und immer lieben werde. Dich zu verlassen war das Schlimmste, was ich je getan habe, aber ich glaube, dass es so am besten für Dich ist.
Klang das zu sehr nach Selbstmitleid? Vielleicht sollte sie es anders beginnen. Auch diese Seite wurde zerknüllt. Dann saß Sam am Stift kauend ratlos vor dem Block und grübelte. Wie sollte sie einer unbekannten Chloe, die diese Sätze vielleicht in vielen Jahren lesen würde, erklären, was sie zu ihrem verzweifelten Schritt getrieben hatte?
Schließlich war der Boden um sie her übersät mit zerknüllten Blättern, aber noch immer hatte sie nicht die richtigen Sätze gefunden. Das Klingeln an der Haustür unterbrach sie. Siedend heiß fiel ihr ein, dass Aidans Mutter zum Tee kommen wollte. Das hatte sie ganz vergessen.
Hastig sammelte sie das zerknüllte Papier auf und stopfte es in eine Schublade. Sie wollte es am Abend erneut versuchen. Schnell fuhr sie sich mit dem Kamm durchs Haar. Dann eilte sie ins Kinderzimmer, um die noch verschlafen dreinblickende Chloe aufzunehmen, und ging mit ihr hinunter, um Aidans Mutter zu begrüßen.
Mary Harper blickte strahlend auf, als Sam mit Chloe im Arm die Treppe herunterkam. „Oh, da ist ja mein kleiner Engel“, säuselte sie. Sie stellte ihre Handtasche auf die Kommode und eilte hinüber, um das Kind in die Arme zu nehmen. „Du wirst ja von Tag zu Tag süßer, meine Kleine.
Weitere Kostenlose Bücher