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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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den Magen, dass ich meinte, die Naht in meinem Bauch reißen hören zu können, von spüren mal ganz zu schweigen, und ich hätte das halbe Haus zusammengebrüllt, doch der Arm auf meiner Luftröhre ließ immer noch keinen Ton hinaus, genauso wenig wie Luft herein, und Tante Furcht ergriff mein Herz mit ihren eiskalten Flossen.
    »Los, verpass ihm noch eine«, kommandierte Vonscheidt, und Piepe holte schon aus, als eine energische Stimme »Stopp!« forderte. »Lassen Sie den Mann los und gehen Sie auseinander!«
    »Halt dich raus«, knurrte Piepe und wollte erneut zuschlagen, da hatte mein Retter Dienstausweis und -waffe gleichzeitig gezogen und wiederholte seine Anweisungen mit einiger Schärfe.
    Mein Hals kam frei und ich glitt geschmeidig zu Boden, wo ich mit sachtem Druck beider Hände meine Eingeweide am Vorquellen zu hindern hoffte.
    »Mit den Gesichtern zur Wand! Hände links und rechts des Kopfes, einen großen Schritt zurück und die Beine …«
    »Hufschmidt«, sagte ich und hob eine Hand, von der recht eindrucksvoll das Blut troff, »blas die Show ab und bring mich ins Krankenhaus.«
     
    »Ich soll was? « Dr. Korthner wusste nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. »Ausgeschlossen. Ich schneide in nichts, das noch quiekt, Herr Kryszinski.«
    »Sie sollen ja auch nähen, nicht schneiden. Und ich quieke nicht.«
    Da ich auf keinen Fall auf einem der Seziertische landen wollte, ging ich vor in den schmalen Raum mit den Leuchtfeldern. Da hatte, erinnerte ich mich, eine Behandlungsliege gestanden. Der kleine Doktor mit der runden Glatze umwieselte mich protestierend.
    »Nennen Sie mir nur einen vernünftigen Grund, warum ich Sie behandeln sollte.« Dr. Korthner zerrte rasch eine frische Lage Papier auf die Liege, bevor ich mich in Zeitlupe darauf niederließ.
    »Weil Sie dazu verpflichtet sind«, sagte ich fest.
    »Ach, jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit dem Hippokratischen Eid!« Er griff sich eine geknickte Schere und schnitt mir das T-Shirt von unten nach oben auf. »Warum bieten Sie mir nicht einfach Geld?«
    »Hab keins. Was Sie mir da gerade zerschneiden, ist mein letztes Hemd.«
    »Wie bei allen meinen Patienten.«
    »Ja, aber wann hatten Sie zuletzt einen, der anschließend wieder aufgestanden und nach Hause gegangen ist?«
    Er lachte. »Okay. Nur kann ich Ihnen unter den gegebenen Umständen …«, er wies resignativ um sich, »… leider keine Vollnarkose anbieten. Ich hoffe da auf Ihr Verständnis.«
    »Scheißegal. Stoppeln sie einfach drauflos, Doc.«
    »Ganz der Cowboy, was? Möchten Sie eine Gewehrkugel zum Draufbeißen?«
    »Nur falls Sie mir unter den gegebenen Umständen auch kein Novocain anbieten können.«
    Er murmelte ein paar Anweisungen in eine Gegensprechanlage und begann dann, mir fröhlich den Verband vom Leib zu schälen.
    »Na, Lokalanästhesie werden wir schon noch hinkriegen. Wenn Sie nicht zuschauen wollen, blicken Sie einfach woanders hin. Aber behalten Sie die Augen offen, ich muss mich vergewissern können, dass Sie mir nicht zwischenzeitlich abnippeln.«
    Eine Schwester trat ein, einen Rollwagen vor sich herschiebend, auf dem oben allerlei Instrumente lagen, deren prominentestes eine dicke Spritze war. Dr. Korthner schnappte sie sich und stach sie mir gut gelaunt rund zwanzigmal in den Wanst. Dann schnallte er seinen Mundschutz um und rupfte das blutdurchtränkte Pflaster vom Schnitt.
    »Uh, hoppla«, freute er sich, »freier Blick auf die inneren Organe. Ihre Leber sieht aber gar nicht gut aus.«
    Und er und die Schwester wollten sich schier wegschmeißen vor Lachen.
    »Schon mal an eine Bühnenkarriere gedacht, Doc?«
    »Psst, nicht sprechen! Dies hier ist meine Show.«
    Er beugte sich vor, betrachtete, betastete, beschnüffelte meine Wunde, zog sie auseinander, was mir das Haar aufrichtete wie schon lange nichts mehr, und nickte.
    »Glück gehabt. Wie es aussieht, sind nur ein paar der Stiche in der Bauchdecke aufgegangen. Und ich brauche noch nicht mal die Wundränder aufzufrischen. Die rote Suppe läuft sehr schön, die Arbeit können wir uns also sparen. Und schwupps, wieder ein Achtelliter weniger im System.«
    Er griff zu Nadel und Faden.
    »Sie spielen ein gefährliches Spiel mit sich selbst, Herr Kryszinski. Sie operieren am untersten Rand ihres Bluthaushaltes, in ständiger Gefahr, dass da oben …«, er klopfte sich demonstrativ ans Haupt, »… nicht mehr genug ankommt. Und die daraus resultierenden Ohnmachtsanfälle passieren in den seltensten Fällen

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