Bleib nicht zum Frühstück
gebraucht.
Das Grau des Januarnachmittags hatte die häßliche Dauerwirkung, wie sie dem nördlichen Illinois um diese Jahreszeit eigen war. Sie erschauerte, als sie ihren Saturn bestieg und zur Grundschule von Aurora fuhr, wo sie einen naturwissenschaftlichen Kurs für die dritte Klasse gab.
Einige ihrer Kollegen spotteten über diese ehrenamtliche Tätigkeit. Sie sagten, wenn eine bekannte Physikerin Grundschulkinder, und dann noch sozial benachteiligte, unterrichtete, könne auch Itzhak Perlman Anfängern Violinunterricht angedeihen lassen. Aber das Niveau der naturwissenschaftlichen Lektionen an den Grundschulen erschreckte sie, und so leistete sie ihren bescheidenen Beitrag zu einer möglichen Verbesserung.
»Dr. Darling! Dr. Darling!«
Sie lächelte über die Art, wie die Drittklässler ihren Namen abwandelten. Bereits bei ihrem ersten Besuch vor zwei Jahren hatten sie sie Darling, also Liebling, statt Darlington genannt, und da sie sich nicht die Mühe gemacht hatte, sie zu korrigieren, haftete ihr diese Kurzform noch heute an. Als sie nun die Grüße der Kleinen erwiderte und in ihre eifrigen und zugleich pfiffigen Gesichter sah, versetzte ihr der Anblick einen Stich. Ach, gehörte doch nur einer davon ihr selbst!
Mit einem Male machte sich Abscheu in ihr breit. Wollte sie etwa für den Rest ihres Lebens in Selbstmitleid baden, weil sie kein Kind hatte, ohne auch nur das Geringste dagegen zu unternehmen? Mit ihrer Halbherzigkeit konnte sie ja gar nicht schwanger werden. Schließlich war dazu wenigstens eine Spur eigenen Rückgrats erforderlich!
Während sie unter Verwendung einer Kerze und eines leeren Weizenmehlkartons mit ihrem ersten Experiment begann, faßte sie einen herzhaften Entschluß. Von Anfang an hatte sie gewußt, daß die Chance zu empfangen bei einem einzigen Versuch nicht gut stand, also war es an der Zeit für einen weiteren Versuch – und zwar an diesem Wochenende, wenn sie sich in ihrer fruchtbarsten Phase befand.
Da sie inzwischen die Sportseite der Zeitung mit großem Eifer las, wußte sie, die Stars flögen an diesem Wochenende zum Viertelfinale der AFC-Meisterschaft nach Indianapolis. Jodie hatte ihr erklärt, daß Cal am Ende der Saison zu seiner Familie nach North Carolina fuhr – und damit für sie unerreichbar würde, schöbe sie die Begegnung allzu lange vor sich her.
Genau in diesem Augenblick meldete sich ihr Gewissen abermals, jedoch ihre Entschlossenheit überwog den leisen Flüsterton in ihrem Inneren. Am Samstag flöge sie trotz aller Zweifel ebenfalls nach Indianapolis. Vielleicht erzielte der legendäre Quarterback ja einen Touchdown ganz allein für sie?
Es hatte den ganzen Tag geregnet in Indianapolis, wodurch sich der morgendliche Flug der Stars von Chicago aus verzögerte und der gesamte Terminplan durcheinandergeriet.
Als Cal am Samstagabend die Hotelbar verließ und in den Fahrstuhl stieg, zeigte die Uhr beinahe Mitternacht, eine Stunde später, als dem Team am Abend vor einem Spiel auszugehen gestattet war. Er ging an Kevin Tucker vorbei, doch keiner der beiden nickte auch nur. Während einer Pressekonferenz am Nachmittag war bereits alles gesagt worden. Beide haßten sie die gegenseitige Arschkriecherei, zu der man in der Öffentlichkeit gezwungen war, aber sie gehörte nun mal zu ihrem Job.
Bei jeder Pressekonferenz war Cal verpflichtet, den Reportern in die Augen zu sehen, Kevin wegen seines Talents in den Himmel zu heben, zu erklären, wie froh er über seine Unterstützung war und zu betonen, sie beide wollten absolut das Beste für das Team. Anschließend fing Kevin stets damit an, wie sehr er Cal respektiere und welch ein Privileg es bereits war, Reservemann der Stars zu sein – alles ein fürchterlicher Quatsch! Die Reporter wußten es.
Die Fans wußten es. Cal und Kevin wußten es, aber trotzdem machte jeder bei dieser Farce mit.
Als Cal in seinem Zimmer war, legte er eine Videokassette des letzten Spiels der Colts in den vom Hotel zur Verfügung gestellten Recorder ein, zog seine Schuhe aus und machte es sich bequem. Statt auf Kevin Tucker konzentrierte er sich lieber auf die Abwehr der Colts. Diese Stelle schaute er sich vorsichtshalber mehrmals an.
Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, wickelte er das auf dem Kopfkissen liegende Stückchen Schokolade aus und schob es sich in den Mund. Wenn er sich nicht täuschte, hatte ihr Rückraumspieler die schlechte Angewohnheit, einen Blitzangriff anzukündigen, indem er zweimal angestrengt in
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