Blütenrausch (German Edition)
Wuffi, Bäri, Fuß!«, rief die dünne Frau in blauer Uniform und Häubchen gerade noch rechtzeitig, bevor die beiden Rüden mich zu Hackfleisch verarbeiten konnten. »Die tun nichts. Die sehen gefährlich aus, aber in Wahrheit sind sie wie zwei kleine Lämmer«, versuchte sie mich zu beruhigen.
S o ganz traute ich dem Frieden nicht, aber wenn ich rein wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen.
Die Haushälterin wusste schon, dass Frau Pot mich erwartete. Sie begleitete mich bis ins Wohnzimmer und sagte mir, dass ich dort auf sie warten solle. Madame sei noch im Cabinet im Garten, würde mir aber gleich im Salon Gesellschaft leisten.
Madame? Cabinet? Salon? Bin ich soeben durch ein schwarzes Loch in Paris gelandet?
Ich schaute mich in Ruhe um. Der Wohnraum, in dem ich mich befand, konnte man als hochherrschaftlich bezeichnen. Die Wände waren bis zur Hälfte mit antikem Holz verziert, der Rest in einem edlem Grau gestrichen. Ein opulenter offener Kamin aus rotem Marmor thronte am hinteren Ende. In der Mitte des Raumes hing ein schwerer Kristallkronleuchter. Ich vermied es, mich drunterzustellen, nicht dass er aus einem unerfreulichen Zufall noch auf meinen Kopf fiel. Die Einrichtung: teuer. Das Geld wurde gut investiert. Antiquitäten und Asiatika. Viel Minotti und Pavarotti: graues Minotti Sofa, zwei dazu passende rote Minotti Sessel und ein schwarzer Minotti Beistelltisch. Die Designerstücke sind nicht schwer zu erkennen, wenn man regelmäßig verschiedene Einrichtungszeitschriften beim Friseur liest. Und an der Wand, mindestens zehn teuer eingerahmte Fotos von Pavarotti. Auf der Bühne und auf verschiedenen Partys, lächelnd und immer zwischen dem Ehepaar Pot. Die Familie musste vor seinem Tod wohl mit ihm befreundet gewesen sein.
» Ein wunderbarer Mann. So standhaft und männlich, finden Sie nicht auch?«, fragte Frau Pot, als sie im Wohnzimmer erschien und bemerkte, wie ich die Bilder betrachtete.
Ich stand nicht so sehr auf massige Opernsänger mit Bart, es wäre aber ein schlechter Anfang, wenn ich dies zugab, also log ich: »Ja, wunderbar. Und seine Stimme erst!«, schwärmte ich ihr vor und begrüßte sie mit einem Handschlag. »Danke, dass Sie mich eingeladen haben.«
» Ich wollte Sie sowieso noch mal anrufen. In den letzten Tagen vor ...«, Frau Pot hielt inne. Ich dachte schon, Sie würde gleich wieder anfangen zu heulen, aber sie behielt dann doch ihre Contenance. »Sie wissen schon, was ich meine.« Ich nickte. »In den letzten Tagen hatten Sie ja viel miteinander zu tun und es wäre schön, wenn Sie mir erzählen würden, was Sie so alles gemacht haben.«
Sie nahm mich sanft am Arm und führte mic h zur Couch. Wie auf Bestellung kam ihre Haushälterin mit einem silbernen Tablett in den Händen und stellte es auf dem Couchtisch. Auf einer silbernen Etagere thronten kleine Petits Fours – ich glaube, das mit dem Französisch wurde langsam ansteckend ‒ und die Bedienstete servierte uns Kaffee in kostbaren Tassen.
»Möchten Sie Milch dazu?«, fragte sie mich höfflich, während sie ein silbernes Kännchen in der Hand hielt. Ich winkte dankend ab. Dann schenkte sie Frau Pot etwas von der Milch in die Tasse ein, gab mit einer silbernen Zange drei Zuckerwürfel dazu und platzierte zwei unterschiedliche kleine Küchlein auf ihrem Teller.
Das nenne ich Erfahrung. Woher sollte sie sonst wissen, ob Madame gerade Appetit auf ein Schoko- und ein Sahnetörtchen hatte? Sie hätte genauso Lust auf ein Himbeer- und ein Vanilletörtchen haben können, die genau so gut aussahen.
Als die Haushälterin den Raum verließ , rührte Frau Pot ihren Kaffee um und trank ein paar Schlückchen. Sie sah noch dünner aus, als bei der Beerdigung. Ihr grau meliertes Haar war zu einem Knoten gebunden, sodass die Konturen Ihres knochigen Gesichtes hervorragten. Diesmal hatte sie keinen Schmuck an, nur einen mit Edelsteinen verzierten Ring, den sie ab und zu am Finger drehte. Sie trug Schwarz, war kaum geschminkt, und wenn sie mich nicht gerade anschaute, starrten ihre geröteten Augen in die Leere.
» Wo sind wir stehen geblieben?«, fragte sie. »Ach ja, Ihre Treffen mit meiner Tochter.«
» Was genau möchten Sie wissen?«
» Alles. Wo Sie sich getroffen, worüber Sie gesprochen, welche Entscheidungen Sie getroffen haben. Ich hoffe, Sie verstehen mich. Ich habe meine Tochter verloren und alles, was mit ihr zu tun hat, interessiert mich jetzt sehr. Ihre eigenen Erinnerungen an sie erlauben mir,
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