Blutherz - Wallner, M: Blutherz
dem Stuhlrand; mit einer Pfote zeigte sie nach unten. Sam hatte Berichte gelesen, in denen Ratten mit Vampiren in Zusammenhang gebracht wurden. Wollte Richard ihr sagen, dass er sich in eine Ratte verwandelt hatte?
»Nun bleib aber mal auf dem Teppich.« Sie umrundete die Stoffratte. Wenn jemand gekidnappt wird und in letzter Sekunde eine geheime Botschaft zurücklassen will … Sam schlug mit der flachen Hand gegen die Stirn …, dann versucht er, seinen Aufenthaltsort zu signalisieren! Wo würde man in einem Haus Ratten vermuten? Im Keller natürlich. Und genau dorthin zeigte das Plüschtier: Sie hatten Richard im Keller eingesperrt!
Sam lief aus dem Zimmer und den gleichen Weg zurück, den sie gekommen war. Sie galoppierte die Stufen hinunter, hielt sich strauchelnd am Geländer fest, warf zwischendurch einen Blick in den Treppenschacht. Erschrocken zügelte sie ihren Atem; von unten kamen ihr Schritte entgegen. Sie schaute aus dem Fenster: Noch war die Sonne ein glutroter Ball am Abendhimmel. Teddie war es also sicher nicht. Sekunden später erreichte sie den Salon, huschte hinein und landete keuchend auf dem Sofa.
Schon ging die Tür wieder auf. »Heiße Schokolade mit Schlagsahne«, sagte der Angestellte nicht ohne Stolz.
»Das hat ja gedauert. Aber vielen Dank.« Sam rekelte sich, als sei sie kurz eingenickt. Sie folgte ihm zu dem Tisch, wo er das Silbertablett abstellte.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« Er schenkte ein. Sam antwortete nicht. Sie war von einem Anblick gefesselt, der auf den ersten Blick harmlos schien. Hier in der Nische hatten die Kóranyis gerahmte Fotografien hängen, Erinnerungen an Begegnungen mit Persönlichkeiten der Gesellschaft. Sie zeigten Teddie und seinen Vater auf einer Galapremiere, beim Handshake mit einer Königlichen Hoheit; auf einem Bild war Valerian mit Sir Kennock abgelichtet. Aber nicht dieses Foto starrte Samantha an, sondern eine Gruppenaufnahme. Sie zeigte die Mitglieder des Motorradclubs Blood Suckers , dessen Sponsoren die Kóranyis waren. Auf dem Bild stand Taddeusz, umringt von zwanzig Kerlen in Leder-Outfits, die ihre schweren Maschinen vor sich aufgereiht hatten. Einer der Motorradfreaks lachte fröhlich, er hatte muntere Augen und einen auffallenden Schnurrbart; an den Enden war er gezwirbelt. Vertraulich legte Taddeusz ihm den Arm um die Schulter. Das war niemand anders als Mr Bull! Mr Bull, der nun tot im Tiefgeschoss des Krankenhauses lag,
während seine Niere ihre Arbeit im Körper des kleinen Andrew aufnahm.
»Miss?«, fragte der Angestellte.
Teddie hat ihn umgebracht, dachte Sam. Er wollte mir einen Gefallen tun, fand heraus, dass Mr Bull Blutgruppe AB negativ hatte, und tötete ihn. Er hat ihm das Blut ausgesaugt und seine Leiche zur weiteren Verwertung Sir Kennock überlassen. So etwas macht mein Geliebter, der Mann, dessen Sohn ich in mir trage!
»Miss?« Der Bedienstete hielt ihr die dampfende Tasse hin. Obenauf schwamm ein cremiger Sahnehügel.
»Ich habe es mir anders überlegt!« Sie zwang sich, einen klaren Kopf zu bewahren. Draußen schickte die Sonne ihre letzten Strahlen über die Dächer; in wenigen Minuten würde es dunkel sein. »Ich kann leider nicht länger warten.«
»Aber Mr Kóranyi erscheint gewiss jeden Moment.«
Auf sein Erscheinen bin ich gar nicht neugierig, dachte sie. »Richten Sie ihm einen lieben Gruß aus.« Sie machte die ersten Schritte zur Tür. »Ich melde mich morgen wieder.«
»Und die Schokolade?«, fragte der Angestellte, verstimmt, weil sein Getränk nicht gewürdigt wurde.
»Schmeckt bestimmt köstlich!« Schon war sie draußen. Sie presste die Hand gegen ihren Bauch und hastete nach unten.
Help!, gellte es in ihrem Kopf. HELP!, so hatte Richards Botschaft gelautet. Doch Samantha sah ein, dass es so gut wie unmöglich war, gleich etwas für ihren Freund zu tun. Die Hausangestellten hatten ein Auge auf sie, außerdem würde Teddie jeden Moment hier sein. Kaum anzunehmen, dass er ihr gestatten würde, in den Keller hinunterzusteigen. Wenn du Richard helfen willst, musst du die Sache besser vorbereiten, dachte Sam. Einem anderen Verdacht konnte sie jedoch gleich auf den Grund gehen: War Taddeusz ein Mörder? Hatte er Mr
Bulls Blutgruppe schon vorher gewusst und ihn mit voller Absicht geopfert? Oder gab es nicht auch die Möglichkeit, dass er nach dessen tödlichem Unfall lediglich schnell reagiert hatte? Sam musste so rasch wie möglich ins Krankenhaus, an Tante Margrets Computer. Sie rannte
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