Blutmord (Ein Paula Franz und Max Dörner Krimi)
hinter dem Schreibtisch Platz. Verstohlen sah sie sich im Zimmer um. Nichts wies daraufhin, dass dies ein Raum in einer Schule war. Paula fühlte sich eher an den Raum bei ihrer Psychologin erinnert. Es gab sogar die obligatorische Couch. Eine große Bücherwand auf der rechten Seite des Raumes rundete das Gesamtbild ab.
„Eine sehr tragische Geschichte“, eröffnete der Psychologe das Gespräch, „wirklich tragisch. Ich tue natürlich alles, um zur Aufklärung beizutragen. Also, womit kann ich Ihnen helfen, was möchten Sie von mir wissen?“ Herr Meindel schaute dabei Paula die ganze Zeit konzentriert in die Augen.
„Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen. Ich weiß das sehr zu schätzen. Vielleicht beginnen Sie einmal damit, aus Lehrer- und psychologischer Sicht, Kate Dreyer zu beschreiben. Sofern sie dazu etwas sagen können. Kannten Sie Kate persönlich?“, fragte Paula.
„Ich kenne eigentlich fast alle Schüler, zumindest vom Sehen. Kate war eine gute Schülerin, clever, selbstbewusst und selbstbestimmt. Man konnte ihr nichts vormachen“, in Erinnerung an das ermordete Mädchen huschte ein Lächeln über das Gesicht des Psychologen. „Sie hatte, soweit ich weiß, keine Probleme – weder in der Schule, noch zu Hause, wobei ich ihre Eltern nicht kenne, nur ihren kleineren Bruder. Der geht hier ebenfalls zur Schule. Kate war sehr aufgeweckt, auch weit für ihr Alter. Durchaus in der Lage erwachsene Konversation zu betreiben.“ Mit diesen Worten schloss Herr Meindel seine Beschreibung.
„Hatten Sie denn auch, ich nenne es mal, aus beruflichen Gründen mit Kate Dreyer zu tun? Hatte Kate Dreyer Sie aufgesucht, um ihren psychologische Rat einzuholen?“, fuhr Paula fort.
Der Psychologe dachte zunächst einige Sekunden nach, bevor er langsam den Kopf schüttelte. „Nicht, dass ich wüsste. Das hatte sie auch bestimmt nicht nötig.“
„Merkwürdig ist, dass ich hier“, dabei zog Paula ein Blatt Papier aus ihrer Tasche und hielt es hoch, „einen Auszug aus Kates Schulakte habe. Dort steht, dass Kate aufgefallen ist, weil sie - angeblich - eine Mitschülerin erpresst hat.“ Paula ließ die Worte wirken und wartete auf eine Reaktion seitens des Psychologen. Doch dieser verzog keine Miene.
„Sie wurde aufgefordert, sich beim Schulpsychologen, also Ihnen, zu melden. Kurz darauf wurde der Eintrag zurückgezogen und die ganze Sache ist im Sande verlaufen.“ Erneut wartete Paula darauf, dass sich der Psychologe dazu äußern würde.
„Und?“, fragte er sie nach einigen Sekunden, in denen Paula ihn aufmerksam beobachtete.
„Kate muss sich bezüglich dieser Angelegenheit an Sie gewandt haben, oder? Ich möchte Sie bitten, mir den Sachverhalt darzulegen.“ Paula sah ihn dabei auffordernd an.
Ohne seinen Gesichtsausdruck zu verändern und nicht im Mindesten nervös, beugte sich Herr Meindel etwas nach vorne. „Sie wissen schon, dass ich als Psychologe einer gewissen Verschwiegenheit unterliege? Zumal Kate in diesem Fall nicht aktiv meine psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat, das war es doch, was Sie mich vorhin gefragt hatten, oder?“
Paula musterte den Mann, der ihr gegenüber saß, nun intensiv. Er sah sehr gut aus, das konnte man ihm nicht absprechen. Aber er wirkte auf sie absolut unsympathisch. Sein Verhalten, das er hier zeigte, machte ihn nicht gerade sympathischer. Sie schätzte ihn auf Mitte 40, wobei er sich betont jugendlich kleidete, um jünger auszusehen, mutmaßte Paula. Er wich ihrem Blick keine Sekunde aus, im Gegenteil, er fixierte sie förmlich. Vermutlich, um sie einzuschüchtern. Typisch Psychologe, dachte Paula. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass Herr Meindel nur die Hälfte von dem preisgab, was er wusste.
„Dann formuliere ich es etwas anders“, gab sich Paula nun betont freundlich, „hat sich Kate jemals mit Ihnen unter vier Augen unterhalten? Und wenn ja, warum und welches Ergebnis hatte das Gespräch? Und die psychologische Verschwiegenheit ist in diesem Fall wohl nicht mehr von Belang, sofern sie damit nicht andere Schüler belasten.“
Herr Meindel schwieg einige Minuten. Dann räusperte er sich. „Nun gut. Ja, Kate Dreyer war wegen dieser Angelegenheit bei mir. Es stellte sich aber sehr schnell heraus, dass es sich um eine kleine, nichtige Streitigkeit unter Schulmädchen handelte. Wir haben die Sache aus der Welt geschafft. Und fertig. Das hatte wenig mit psychologischem Geschick, sondern eher mit einer erwachsenen Vermittlung zwischen zwei Individuen zu tun.
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