Blutnetz
Potomac hinausragte. Ein stabiler Hebel aus Holz, der ihm bis zur Schulter reichte, fixierte die Falltür im Boden der Lagerhalle. Sie klappte mit einem lauten Rumpeln auf. Der Tote stürzte ins Wasser. In einer stürmischen Regennacht wie dieser würde der Fluss den Toten meilenweit mit sich nehmen.
Hier war er fertig. Allmählich wurde es Zeit, Washington zu verlassen. Er ging durch das Lagerhaus und kippte Petroleumlampen um, die er in Vorbereitung auf seine Abreise verteilt hatte. Dann wiederholte er seine Runde durch den Schuppen, zündete Streichhölzer an und warf sie in die Petroleumpfützen. Als gelb-orangefarbene Flammen überall hochloderten, trat er durch die Tür hinaus in den Regen.
33
Bell wartete den ganzen nächsten Tag auf eine Nachricht von Yamamoto Kenta. Jedes Mal, wenn ein Telefon klingelte oder eine Morsetaste zu klappern begann, richtete er sich gespannt hinter seinem Schreibtisch auf, nur um sich dann wieder enttäuscht zurücksinken zu lassen. Irgendetwas musste schiefgegangen sein. Es ergab keinen Sinn, wenn der Japaner ihn betrog. Er war freiwillig zu dem Treffen erschienen. Er war es auch gewesen, der einen Handel vorgeschlagen hatte. Während der frühe Nachmittag in den Spätnachmittag überging, riss das Klingeln der Telefone nicht ab. Aber kein Anruf von Kenta war dabei.
Plötzlich gab ihm der Agent, der die Telefone überwachte, ein Zeichen, und Bell eilte durch den Raum zu ihm.
»Die Telefonzentrale war gerade dran. Sie haben eine Nachricht von Scully.«
»Und wie lautet sie?«
»Alles, was er sagte, war: ›Grand Central, fünfzehn Uhr dreißig.‹«
Bell griff nach seinem Hut. Das war sogar nach Scullys Maßstäben rätselhaft, bedeutete es doch entweder, dass Scully etwas äußerst Wichtiges zutage gefördert hatte oder dass er in Gefahr schwebte. »Warten Sie weiter auf einen Anruf von Kenta. Ich melde mich wenn möglich vom Grand Central Terminal. Aber sobald Yamamoto anruft, geben Sie mir durch einen Kurier Bescheid.« John Scully hatte entschieden, dass es Zeit wurde, Isaac Bell einzuweihen. Um ganz ehrlich zu sein, gestand er sich ein, während er die öffentlichen Bezahltelefone im Grand Central Terminal suchte, war es schon fast zu spät dazu. Er konnte das verdammte Ding nicht finden. Der alte Bahnhof wurde Stück für Stück abgerissen und durch einen neuen, wesentlich größeren Bahnhof ersetzt, und sie veränderten ständig den Standort der Telefonschalter. Dort, wo sich die Telefone bei seinem letzten Besuch befunden hatten, gähnte jetzt ein Schacht, in dem Gleise verliefen, die sich zwanzig Meter tief ins Erdreich bohrten. Als er die Telefone schließlich fand, nachdem er mit seiner vergeblichen Suche zehn Minuten verloren hatte, sagte er zu dem Angestellten: »Van Dorn Detective Agency. Knickerbocker Hotel.« Ein Angestellter in der Uniform der Telefongesellschaft wies ihm eine der holzgetäfelten Kabinen zu.
»Guten Tag«, begrüßte ihn die Telefonistin, die aufgrund ihrer schönen Stimme und ihres klaren Kopfes eingestellt worden war. »Sie sprechen mit der Van Dorn Detective Agency. Mit wem möchten Sie verbunden werden?«
»Eine Nachricht für Isaac Bell. Bestellen Sie ihm, Scully habe gesagt: ›Grand Central, fünfzehn Uhr dreißig.‹ Haben Sie das? ›Grand Central, fünfzehn Uhr dreißig.‹«
»Ja, Mr Scully.«
Er zahlte bei dem Angestellten und eilte zum Bahnsteig des 20th Century Limited. Im Bahnhofsgebäude herrschte ein entsetzliches Chaos. Es wimmelte von Arbeitern. Sie turnten auf Gerüsten herum und schlugen mit Hämmern auf Backstein, Stahl und Marmor. Hilfsarbeiter bevölkerten die Halle, zogen und schoben Handwagen und Schubkarren. Aber an der vorübergehend errichteten Bahnsteigsperre des Limited, neben dem eine große schwarze Tafel CHICAGO verkündete, kontrollierten Angestellte der Eisenbahnlinie mit ausgesuchter Höflichkeit die Fahrkarten. Der berühmte rote Teppich war bereits ausgerollt worden und führte auf den Bahnsteig. Es sah so aus, als hätten für jeden Passagier, der sich bis hierher zu dem berühmten Express nach Chicago durchgekämpft hatte, die Unannehmlichkeiten ein Ende.
»Jasper! Jasper Smith!«
Little-Miss-Knock-out-Tropfen aus der Opiumhöhle des chinesischen Oberhauses eilte in einem eleganten Reisekostüm und mit einem ausladenden Merry-Widow- Hut auf dem Kopf auf ihn zu. »Was für ein wunderbarer Zufall. Gott sei Dank habe ich Sie wiedergefunden.«
»Woher wussten Sie, dass ich hier bin?«
»Ich
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