Blutschande
nächsten Tag wieder zur Vernunft kommen würde. Dass sie bei einer Freundin geschlafen hat und mit ihr zur Schule gefahren ist. Deshalb haben wir erst reagiert, als wir diesen Anruf aus der Schule bekommen haben.«
»Warum haben Sie uns angelogen?«
»Es macht ja nicht gerade einen guten Eindruck ... ich meine, wenn man erst so spät reagiert ...«
»Sie wollten in der Öffentlichkeit nicht als schlechte Eltern dastehen?« Liv fasste sich an den Kopf. »Sie haben gelogen, um wie gute Eltern zu wirken?«
Sie hörte selbst, wie schrill ihre Stimme wurde. Hatte sie wirklich geglaubt, dass diese Frauen sie nicht mehr schockieren konnten? Egal, was sie machten?
»Verdammt noch mal, wie kann man als Eltern denn zu so etwas in der Lage sein, das ist doch unglaublich!«, schimpfte Max, sichtlich erregt, und dieses Mal hielt Liv ihn nicht zurück. Sollte er dieser Frau doch Angst einjagen.
»Kann man denn wirklich so blöd sein? Es ging doch um Ihr Kind! Muss man denn um jeden Preis den Schein wahren?«
Anne Grethe Junge-Larsen antwortete nicht. Sie saß mit gesenktem Kopf da und starrte auf die Tischplatte. Tränen liefen über ihre Wangen.
Liv nickte innerlich und antwortete für sie. Das musste man, das wusste sie aus eigener Erfahrung. Schließlich war sie damit aufgewachsen.
11
Für Per Roland waren die Ermittlungen jetzt in eine neue Phase eingetreten, schließlich war aus der Vermisstensache ein Mordfall geworden. Per Roland hatte im Laufe seiner Karriere schon zahlreiche Morde gelöst, und so erschreckte ihn auch der Besuch im Rechtsmedizinischen Institut nicht, wohin er gefahren war, nachdem ihn der Pathologe kurz vor Mitternacht per Telefon zu sich zitiert hatte.
Wie das kleine Mädchen ermordet worden war, war die zentrale Frage. Auch die Frage nach dem Tatort drängte sich auf. Per Roland war überzeugt davon, dass es nicht mehr schwer sein würde, den Täter zu überführen, wenn sie erst den Tatort gefunden hatten. Die Osteuropäer konnten sie bereits ausschließen. Es war kaum wahrscheinlich, dass sie das Mädchen getötet und dann im Kriechkeller ihrer Eltern versteckt hatten.
Per Roland bekam tatsächlich eine Gänsehaut, als er den sterilen Raum betrat, in dem Cecilie unter einem weißen Laken lag, führte das aber auf die Kälte und seine Müdigkeit zurück. Es war dunkel, und viele andere hätten sich sicher unwohl gefühlt, doch nicht so Per Roland. Nach seiner Auffassung befand sich das Unangenehme, Gefährliche in dieser Welt außerhalb dieser Wände.
»Grüß dich, alter Freund«, sagte Kim Hjort, der Rechtsmediziner, als er auf ihn zukam. »Da bist du ja wieder. Wie geht es Cynthia?«
»Ihr geht es gut, ich bin es, der leidet.«
»Seid ihr ...?«
»Ja, wir wurden vor drei Monaten geschieden. Wir haben alles gerecht geteilt. Sie hat das Haus und die Kinder bekommen, ich meine Arbeit.«
»Wenn du mich fragst, war sie einfach zu gut für dich«, sagte Kim Hjort mit einem Grinsen, trotzdem war seine Stimme voller Mitgefühl. Die beiden waren immer humorvoll miteinander umgegangen. Eine Notwendigkeit bei ihrer Arbeit, die sie fast nur in den kalten Räumen des Rechtsmedizinischen Instituts zusammenführte. Und immer unter den schlimmstmöglichen Umständen.
»Sie ist zu gut für alle«, antwortete Per Roland. »Was hast du für mich?«
»Komm, ich zeig’s dir.«
Kim Hjort zog vorsichtig das weiße Laken weg, als wäre Cecilie noch am Leben, so dass ihr nackter Körper zum Vorschein kam. Eine dicke, überdimensional wirkende Naht zog sich über ihren Oberkörper.
»Wie sieht’s mit der Identifikation aus?«
»Die Eltern waren hier. Ganz kurz. Danach sind sie wieder aufs Präsidium gebracht worden. So eine agile, junge Mannfrau mit Hut und ein kräftiger Rocker haben sie hergebracht.«
Per Roland musste im Stillen lachen und sah Max und Liv vor sich.
»Schreibst du noch immer deine Groschenromane?«
»Meine Krimis? Ja, aber die will ja niemand rausgeben. Angeblich zu viele Klischees. Aber ich mache weiter.«
»Was hast du rausgefunden?«, fragte Per Roland und richtete seinen Blick auf Cecilie.
»Tja, das war nicht so leicht.«
Der Rechtsmediziner trat auf die andere Seite von Cecilie, so dass Roland besser sehen konnte.
»Ich habe erst einmal die Seifenreste unter ihren Fingernägeln entfernt. Das war eine ganze Menge. Ich habe die Seife zur weiteren Untersuchung gegeben, damit wir die Marke bekommen, ich fürchte aber, dass die in dieser Gegend von einigen benutzt
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